Wo der Elch begraben liegt
Zwiebeln, Kartoffeln und brauner Sauce. Die Unterhaltung floss leicht dahin. Sie sprachen über den Kiosk, wie lange es ihn schon gab und wer ihn betrieben hatte. Frida erkannte, dass es gut war, Agnes erzählen zu lassen. Dabei konnte sie sich selbst ausruhen und bekam gleichzeitig eine Menge wertvoller Informationen. Außerdem schien Agnes froh zu sein, dass sie eine Zuhörerin hatte– was schließlich auch nicht ganz unwichtig war.
Agnes’ Bericht klang so, als wäre Bruseryd einst eine Weltmetropole gewesen. Es hatte Bekleidungsgeschäfte gegeben, Schuhmacher, zwei Lebensmittelgeschäfte, Schlachter, Spielzeugladen, Tabakladen, Post, Bank, Bahnhof, Sportplatz, Tanzlokal, Missionshaus und zahlreiche Vereine und Sportclubs. Sie zeichnete das Bild einer völlig anderen Welt. Einer Welt, in der der Eishockeyclub zu den besten des Landes gehörte und in ganz Europa bekannt war. Damals hatte es noch Visionen und einen Glauben an die Zukunft gegeben. Jetzt war es so, als ob alles einfach gestorben war. Nach Gudrun war selbst die Landschaft um Bruseryd nicht mehr besonders schön. Früher konnten sie immer sagen, dass sie Wald hatten. Jetzt gab es nur noch abgeschlagene Bäume und offene, kahle Flächen. Welcher Deutsche würde sich dort jetzt ein Häuschen kaufen?
Als sie beim Kaffee angelangt waren, kam Björkman mit dem weißen Volvo auf den Hof gefahren. Er war ein magerer älterer Mann mit einer Lantmännen-Mütze. Er wollte sich nicht hinsetzen, sondern Frida bloß den Autoschlüssel übergeben, sodass sie nicht in der Dunkelheit über die Landstraße gehen musste. Kurz erläuterte er ihr die Eigenheiten des Wagens, trat dann wieder in den Flur und verschwand. Erst später wurde Frida klar, dass er jetzt derjenige war, der die Landstraße entlanggehen musste. Aber vielleicht war das ja so eine Art Willkommensgruß.
Frida bedankte sich für das Essen und überlegte, ob sie vielleicht die Übernahme der Unkosten anbieten sollte. Wurde das von ihr erwartet? Sie musste Åke fragen. Als sie nach oben in die Redaktion ging, um das Treffen des Landwirtschaftsverbands vorzubereiten, klingelte das Handy. Es war Mona, die wissen wollte, ob Frida schon Gelegenheit gehabt hatte, sich das Sommerhaus anzusehen, und fragte, ob es sehr verfallen war. Auf jeden Fall müsste sie einen Plan über den Ablauf der Renovierung machen.
» Mama, ich arbeite«, erwiderte Frida.
» Die werden dich da doch wohl nicht herumkommandieren? Lass dich bloß nicht ausnutzen!«, sagte Mona entschieden. » Nach meinen ganzen Jahren als Berufsberaterin weiß ich ja schließlich, wie Arbeitgeber sein können. Sag offen, was du denkst, und gib nicht nach.«
» Das ist mein Job, und dazu habe ich ja gesagt.«
» Und das Wochenendhaus? Kannst du da nicht vielleicht heute Abend hinfahren?«
» Da ist das Treffen vom Landwirtschaftsverband, und ich soll darüber schreiben.«
» Landwirtschaftsverband? Als ob die jemals was Vernünftiges gemacht hätten.«
» Es tut mir leid, Mama, aber ich muss mich jetzt vorbereiten.«
» Dann ruf mich doch wieder an. Du meldest dich ja nie«, sagte Mona und legte auf.
Frida lag in ihrem Bett und sah zur schrägen Decke hinauf. Ein Pinselhaar war in der gelbweißen Farbe hängen geblieben. Sie versuchte es abzukratzen, doch es wollte sich nicht lösen. Der Vorhang hatte von außen blassgelb ausgesehen, wirkte aber von der Innenseite viel dunkler. Sie versuchte, ihn vor- und zurückzuziehen. Sie kam sich vor wie in einer Hütte. Das Bett war schmal und hart, aber besser so als zu weich.
Sie hatte ihr mitgebrachtes Bettzeug aufgezogen und spürte die Schwere einer altmodischen Steppdecke auf dem Körper. Darüber hatte sie eine gehäkelte Wolldecke gelegt. Es war kalt im Zimmer. Sie hatte das Gefühl, den ganzen Tag gefroren zu haben.
Sie sah auf ihr Handy: Nicht eine einzige SMS war heute gekommen. War das Leben da draußen völlig stehen geblieben? Sie ging durch die verschiedenen Funktionen des Telefons und rief das Fotoalbum auf. Lange betrachtete sie ein Bild von Peter, auf dem er zu Hause in der Storhöjdsgatan neben ihr auf dem Kissen lag. Hatte dieser Blick denn nichts bedeutet?
In Fridas Vorstellung erschien das Bild einer Abendzeitungsredaktion, in der Peter von modischen, großstädtisch wirkenden jungen Frauen an ihren Schreibtischen umgeben war. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie die Mädchen seinen intelligenten Bemerkungen über die wichtigen Tagesereignisse lauschten, wie sie jeden Tag
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