Wo der Elch begraben liegt
Augen wäre ihr kleiner Text über Dani bloß… uninteressant.
Sie blätterte weiter und stieß auf eine Nachricht der schwedischen Presseagentur: » Meilenstein in der Weltgeschichte. Die UN hat festgestellt, dass es auf der Erde jetzt mehr Menschen gibt, die in Städten leben, als solche auf dem Land. Menschen sind wie Magnete. Kommt einer, kommen mehrere. Nicht mal die Tiere wollen länger auf dem Land leben. Wölfe und Bären haben Populationen in den Großstädten gebildet…«
Frida sah von der Zeitung auf und blickte über den trostlosen Parkplatz. Woran lag es, dass diejenigen, die hier noch lebten, auch hierblieben?
Sie brach ein Stück von ihrem Brötchen ab, steckte es in den Mund und startete den Wagen. Sie musste an Dani denken, der es umgekehrt gemacht hatte und hierhergezogen war. Das war mutig, irgendwie dubios, aber mutig. Sie fragte sich, was er wohl über den Artikel dachte. War er zufrieden? Hatte er sich wiedererkannt? Dass man den Interviewpartnern auch nachher noch in die Augen blicken konnte, war etwas, worüber sie in der Schule nie gesprochen hatten. Bei Peter hatte es immer ein wenig so geklungen, als ob man alle umnieten müsse. Alle waren mehr oder weniger böse Machthaber oder Politiker mit einer heimlichen Agenda, die man dafür zur Verantwortung ziehen musste. Stimmte das wirklich? Sie war einfach davon ausgegangen, dass er recht hatte.
Frida dachte daran, dass sie noch ein paar Fragen zu den Ereignissen in Södertälje hatte, die Dani in ihrem Gespräch am Abend zuvor erwähnt hatte. Ein anderes Mal. Jetzt hatte sie ja genügend Zeit sowie eine Einladung, mit einem flaumbärtigen, neunzehnjährigen Iraker gefrorenen Kebab zu essen.
Bevor sie Eksjö wieder verließ, hielt sie an und tankte. Als sie sah, wie der Benzinstandanzeiger nach oben kletterte, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass es eigentlich niemanden gab, der sie daran hindern konnte, einfach nur immer weiter und weiter in welche Richtung auch immer zu fahren. Sie hätte den Wagen wenden und beispielsweise nach… Stockholm fahren können. Wie das wohl wäre? Sie sah vor sich, wie sie den alten Volvo draußen vor der Globen -Arena oder der Redaktion der Abendzeitung parkte. Doch anstatt sich vor ihrem geistigen Auge von den zahlreichen Möglichkeiten hinreißen zu lassen, spürte sie förmlich, wie unsicher und fehl am Platz sie sich dann vermutlich vorgekommen wäre. Sie würde dort sitzen und so aussehen, als wäre sie aus einem Mauseloch hervorgekrochen, und sich Gedanken machen, dass Peter vielleicht gar nicht da war oder nicht glücklich wäre, sie zu sehen, und sie vielleicht wie eine entfernte Cousine behandeln könnte, von der man wünschte, dass sie hoffentlich keinen Kontakt aufnahm. Vielleicht war es tatsächlich noch viel schlimmer, sich unwillkommen und verlegen zu fühlen und sich gezwungen zu sehen, mit eingeklemmtem Schwanz die lange Strecke zurückzufahren, als hier in der januargrauen, winterlichen Leere zu bleiben. Plötzlich kam es ihr viel beruhigender vor, über die 33 einfach wieder auf Bruseryd zuzusteuern. Dort spielte sie immerhin eine kleine Rolle.
Sie fragte sich, ob die alte Frau wohl auch heute wieder auf dem Stein an der Kurve sitzen würde. Da sie hinter einem LKW landete und sich nicht zu überholen traute, konnte sie den Stein erst sehen, als sie ganz nah herangekommen war. Er war leer. Wo war sie heute?, dachte Frida. Kurz bevor der Wald anfing, sah sie im Rückspiegel, wie die Frau am Rande des Ackers entlanglief in Richtung auf den Stein. Sie hat sich ihre eigene Aufgabe verschafft, dachte sie. Ich muss versuchen, mit ihr zu sprechen.
Im Computer wartete eine aufmunternde Mail von Åke, der den Dani-Text schön geschrieben fand. Er meinte, sie solle den Tag am besten damit beginnen, die unerledigte Post von Harriet zu öffnen und zu sehen, ob sich etwas Einfaches fand, mit dem sie weiterarbeiten konnte.
Frida öffnete einen Brief nach dem anderen, doch fast keiner war mehr aktuell. Das Straßenbauamt kündigte an, in irgendeiner Oktoberwoche den Fahrbahnhubbel zu verstärken. Das war wohl im Januar keine heiße Sache mehr. Immerhin könnte sie eine Notiz darüber bringen, dass er verstärkt worden war. Wenn es sich so verhielt. Waren sie vielleicht nachlässig gewesen? Frida lachte über ihren vollkommen uninteressanten, »investigativen« Journalismus. In einem alten Prospekt der Gesundheitsbehörde stieß sie auf eine Notiz über den Puumala-Virus. Vielleicht war das
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