Wo der Elch begraben liegt
verschwand für einen Augenblick und kam dann mit einem alten Holzstuhl und zwei Kissen zurück. Er hatte sein verblichenes T-Shirt gegen ein zerknittertes, grau gestreiftes Hemd getauscht, das er etwas halbherzig in seine weite Jeans stopfte. Er legte die Kissen ordentlich auf den Stuhl, bat Frida, sich zu setzen, und widmete sich dann dem Espressokocher.
Zu Beginn fasste er sich kurz und drückte sich etwas kryptisch aus, so als hätte er lange mit niemandem mehr gesprochen, doch nach einer Weile strömten die Worte nur so aus ihm heraus, und der dunkle, flaumige Schnurrbart auf seiner Oberlippe erwachte zum Leben.
Er hatte den Kiosk vor drei Monaten im Internet gefunden, bei Blocket, und gedacht, dass er ganz gut aussah. Ruhige Lage. Genau das hatte er gesucht.
» Wie kommt es, dass du einen Kiosk haben wolltest? Ist das ein alter Traum?«, fragte Frida.
» Nein, nein, ich wollte eigentlich Chemieingenieur werden. Ich war im zweiten Jahr auf der Technischen Hochschule.«
» Dann bist du also aus Stockholm?«
» Södertälje.«
» Welche Verbindung hast du zu Bruseryd?«
» Gar keine. Das war ja das Gute daran«, antwortete Dani und wirkte, als wäre er sehr zufrieden.
Frida verstand nicht genau, was daran gut sein sollte. Plötzlich wurde sie von dem unangenehmen Gefühl befallen, dass er vielleicht irgendetwas verbarg. Nun saß sie hier ganz allein in seinem kleinen Kiosk, und niemand außer Mats wusste, wo sie war. Vielleicht war Dani ja ein Verrückter, ein völlig Durchgeknallter, und sie hatte sich freiwillig hierherbegeben und sich wie ein schlachtbereites Lamm angeboten. Sie musste geschwiegen haben, denn Dani sah sie mit einem langen, prüfenden Blick an. Hatte sie noch weitere Fragen? Frida holte tief Luft und zwang sich zu lächeln. » Wieso ist das gut, dass du hier niemanden kennst?«
» Ist es so seltsam, wenn man sich manchmal in die Ferne sehnt?«
Frida lachte.
» Was ist so lustig?«, fragte Dani.
» Nichts. Das ist nur exakt der Titel eines schwedischen Schlagers.«
» Lena Andersson 1971. Ich weiß! Ein Kumpel von mir hat eine grauenhafte Hip-Hop-Version daraus gemacht. Ich stehe total drauf. Auch auf das Original. Du auch?«
» Ja, das ist… gut«, sagte Frida verwundert. » Tut mir leid, dass ich dich unterbrochen habe. Ich wollte nicht, dass du den Faden verlierst. Erzähl weiter.«
» Ich bin hierhergezogen, weil ich ganz einfach nur weg wollte. Das ist alles.«
» Wie seltsam«, sagte Frida. » Ich will nicht weg. Ich will nach Hause. Ich weiß nur nicht genau, wo das ist.«
Eine Weile schwiegen sie. Dani zeigte zum Fenster hinaus.
» Meine Kumpel waren in so einen Übergriff verwickelt…«
Die Unterhaltung hatte eine unerwartete Wendung genommen, und Frida wusste nicht, in welche Richtung sie weitergehen würde. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf, aber keine schien passend. Sie schwieg und wartete ab.
» Die haben etwas gemacht, was man nicht machen darf«, sagte Dani. » Mit einem Mädchen…«
Frida hielt den Atem an und überlegte, wie sie jetzt reagieren sollte. Schließlich stellte sie die Frage, die ihr am wichtigsten erschien. »Wurden die Typen gefasst, die das gemacht haben?«
» Sie haben sich gegenseitig die Schuld zugeschoben und behauptet, dass das Mädchen freiwillig mitgemacht hat.« Dani stand auf und schlug die Hände zusammen, wie um das Thema abzuschütteln. » Wir sind zusammen aufgewachsen. Sie waren die ganze Zeit um mich herum. Das hätte ich sein können. Das war es, was meine Entscheidung ausmachte. Ich hätte es selbst sein können.«
» Dann bist du also hier in diese verlassene Gegend gezogen, anstatt deine Ausbildung zu verfolgen und mit Freunden und Familie zusammen zu sein. War das eine Art Flucht?«, fragte Frida.
» Nachdem das passiert war, hab ich meine Klausuren vermasselt. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Mein Vater war immer schon schlimm, aber dann wurde er noch schlimmer. Er hatte es in der Zeitung gelesen und wohl verstanden, was passiert war, aber er meinte, dass so ein Mädchen selbst schuld daran sei. Ich glaube, er wollte, dass ich für meine Kumpel aussage. Männer müssen zusammenhalten…«
Danis Blick ruhte auf der Kaffeetasse. Obwohl der Kaffee ausgetrunken war, rührte er fortwährend mit dem Löffel darin herum.
» Ich bin in Schweden geboren, ich bin Schwede. Meine Eltern kommen aus dem Irak. Sie denken, dass sie Schweden sind, leben aber auf dieselbe Weise, wie sie dort lebten. Meine Mutter ist zu
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