Wo der Elch begraben liegt
Gesicht wurde plötzlich weich und lebhaft. Die kleinen Muskeln um Kinn, Mund und Augen gerieten in Bewegung, als sie in ein lautloses Weinen ausbrach.
» Gott sei Dank«, sagte Gunnel und schlang die Arme um Frida.
Gunnel hatte Kaffee in einer Thermoskanne und warme Decken neben ihrem Stein liegen. Die beiden saßen dicht nebeneinander und schauten zu, wie die Polizei den frühmorgendlichen Verkehr umleitete. Der Krankenwagen kam und holte seinen Patienten ab. Gunnel saß die ganze Zeit völlig starr neben Frida. Einmal fasste sie nach Fridas Arm, wie um sich festzuhalten und nicht herunterzufallen.
Frida hatte es natürlich eilig zurückzufahren, war aber gleichzeitig derart berührt von Gunnels Einladung, diesen offenbar so erschütternden Moment mit all den Erinnerungen an das Ereignis, das ihr Leben vollkommen verändert hatte, mit ihr zu teilen, dass sie einfach bleiben musste. Sie wechselten kaum ein Wort. Erst als der Krankenwagen abgefahren war und ein Bagger anfing, die Baumstämme wegzuräumen, beruhigte sich Gunnel, und die gespannte Atmosphäre verflog.
» Ich glaube, viele Leute fragen sich, was Sie eigentlich denken, wenn Sie hier sitzen«, sagte Frida. » Falls Sie irgendwann mal etwas erzählen möchten, können Sie gerne zu mir kommen. Vielleicht würde Ihnen das ja sogar guttun…?«
Frida notierte ihre Telefonnummer auf einem Bogen ihres Notizblocks, reichte ihn Gunnel und bedankte sich für den Morgenkaffee.
Eine Stunde später hatte Frida den Text fertig geschrieben und die besten Bilder ausgewählt. Sie öffnete ihr E-Mail-Programm, um das Material zur Redaktion zu schicken, und entdeckte, dass sie eine Nachricht von einem unbekannten Absender erhalten hatte. Sie klickte die Mail an, und plötzlich veränderte sich die Atmosphäre im ganzen Raum– Vogelgezwitscher, zirpende Grillen, Geräusche von tropischen Tieren und einem rauschenden Wind kamen aus dem Computer. Auf dem Bildschirm sah sie einen Sonnenaufgang im Regenwald, und es fühlte sich an, als würde sie in einem niedrigen und sanften Anflugswinkel in das Gewirr aus Baumstämmen hineingesogen. Es war so schön und sinnlich, dass sie die feuchtwarme Luft beinahe auf der Haut spüren konnte. Danach führte sie der Animationsfilm über die Savanne, wo Antilopen grasten und Löwen auf einem Hügel in der Sonne dösten, und schließlich weiter über einen dunklen Fichtenwald, magere Felder und Kahlflächen. Plötzlich erkannte sie die Ortseinfahrt von Bruseryd und den Hügel, der zum Kiosk hinunterführte. Da stand er mit seinem dichten schwarzen Haar und ausgestreckten Armen; der Mund wie ein Kuss geformt, aus dem animierte rote Herzchen zum Himmel aufflogen. Eine Sprechblase tauchte auf, und Rauchringen gleich wehte der Text über den Schirm: » Ich kann die nicht das ganze Paradies versprechen, aber das halbe. Gelobe, deine Fußsohlen zu küssen, dir zu dienen, dich zu verwöhnen und die jeden Tag Kebab zu bereiten. Lass dir mein Herz schenken.« Die Sprechblase pulsierte in Rot, das Geräusch eines pochenden Herzens erfüllte den Raum, und die Impulse verschiedener Rottöne schlugen ihr vom Bildschirm entgegen. Plötzlich war der Film zu Ende. Der Schirm war wieder schwarz, und ein kleiner, winziger Text erschien: » Ich glaube, ich mag dich.« Frida lachte, war überrascht, verwirrt und bis in die Seele hinein erwärmt. Welch eine Arbeit es gewesen sein musste, diesen Film zu machen. Für sie.
Sie mailte ihr Material an die Redaktion und rief danach an, um sich den Eingang von Text und Bildern bestätigen zu lassen. Der Mann, der sie ein paar Stunden zuvor geweckt hatte, erwiderte ohne sonderlichen Enthusiasmus, dass sie alles bekommen hatten, war aber anscheinend sauer, weil sie den Krankenwagen nicht fotografiert hatte. Es sollte doch wohl klar sein, dass die Leser den sehen wollten. Frida hatte gedacht, dass man sie vielleicht loben würde, weil sie so schnell zum Ort des Geschehens gefahren war und sogar mit dem Fahrer gesprochen hatte, aber nein. Ihren Text kommentierte er überhaupt nicht. Frida lag halb auf dem Redaktionssofa und wünschte, dass sie ein paar Stunden länger geschlafen hätte. Sie blätterte durch die Zeitung vom Tage und las Åkes Kolumne, die erstaunlich zahm klang und eigentlich nur um Entschuldigung nachsuchte. Mats’ Interview mit Skogby sollte dokumentieren, welch schöner Ort Bruseryd einmal gewesen war und wie wichtig es war, das Bild aufrechtzuerhalten, es handele sich um einen wirklich schönen
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