Wo der Elch begraben liegt
Ort zum Leben.
» Bullshit«, sagte Frida laut zu sich selbst.
Annikas Umfrage war überhaupt nicht in den Artikel aufgenommen worden. Seltsame Art, eine Sache zu verfolgen, dachte Frida. Was hatte Åke nun eigentlich zum Ausdruck bringen wollen?
Gerade, als die Müdigkeit überhandnahm und Frida sich wieder in Danis kleinem Haus befand und zusah, wie er auf dem Stuhl stand und sich zum zukünftig meist gleichgestellten Mann erklärte, klingelte erneut das Handy. Halb schlafend nahm Frida den Anruf entgegen. In der Leitung war es still. Sie hörte nur leise Atemzüge.
» Hallo? Wer ist da?«, fragte Frida.
Sie hörte ein leises Rauschen und wollte schon auflegen, als sie eine Stimme vernahm: »Die Kurve ist das Problem. Die muss verändert werden. Das darf nicht noch mal passieren.«
» Sind Sie das, Gunnel?«
» Ich musste das jetzt sagen. Wenn Sie heute herkommen, erzähle ich Ihnen die Geschichte.«
» Zum Stein?«
» Zum Hof. Um zwölf gibt’s Eier und Hering. Fahren Sie in Richtung Moaryd, der erste Hof auf der linken Seite.«
Schon war das Gespräch beendet. Frida war sich nicht ganz sicher, ob sie geträumt hatte. Sie stellte den Wecker und gestattete sich, für eine Stunde in den Regenwaldtraum mit dem unberechenbaren jungen Mann zurückzugleiten.
Frida hatte sich vorgestellt, dass Gunnels Zuhause genauso durcheinander wäre wie sie selbst. Vor ihrem geistigen Auge hatte sie Schmutz, leere Verpackungen und ungewaschene Wäsche gesehen. Im Windfang gab es zwar ein Wirrwarr aus warmen Mänteln, dicken Stiefeln, Schals und den Wolldecken vom Stein, doch als Frida die Schwelle zum Wohnbereich überschritt, kam es ihr vor, als beträte sie eine Puppenstube. Im Innern war das Wohnhaus des alten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Hofs pedantisch aufgeräumt. Alles war klinisch sauber, und alle Gegenstände hatten ihren festen Platz. Im Flur stand ein Regal mit Notizbüchern, von denen einige datiert waren. Frida nahm an, dass Gunnel dort ihre umfassenden Aufzeichnungen mit den Kennzeichen der vorbeifahrenden Autos aufbewahrte. In der alten Küche war der Tisch hübsch mit blumengemustertem Porzellan und Servietten gedeckt. Kartoffeln, Hering mit Zwiebeln, gekochte Eier, Knäckebrot und Käse standen neben Mineralwasser und Porter bereit. Ohne die unförmigen Sachen, die sie draußen immer trug, war Gunnel eine ganz andere Frau. Jetzt bemerkte Frida, wie klein und dünn sie war. Sie hatte ein scharf geschnittenes Profil, und die hohen Wangenknochen verliehen ihr ein samisches Aussehen. In ihrer weißen Bluse und der schwarz gemusterten Norwegerstrickjacke sah sie beinahe elegant aus, fast sogar schön. Der Kummer verlieh ihr eine Schwere und Düsternis, doch auch ein helles Strahlen, das von ihrem kleinen Körper ausging.
» Danke, dass ich kommen durfte«, sagte Frida. » Ich esse ja nicht oft Hering, aber der hier war richtig gut. Sollte man eigentlich öfter zu sich nehmen.«
» Ich esse seit vierzig Jahren das gleiche Mittagessen«, erwiderte Gunnel neutral.
» Sie wollten erzählen«, fuhr Frida fort und zog vorsichtig Block und Schreiber aus der Umhängetasche.
» Als wir da saßen und den Krankenwagen kommen sahen, dachte ich, dass jetzt Schluss sein muss.«
Gunnel setzte auf eine Art zu sprechen an, wie sie es seit Jahren nicht getan hatte. Sie wählte ihre Worte sorgsam und erzählte langsam und nachdenklich. Sie sagte, sie müsse ganz von Anfang an erzählen, damit Frida alles verstand und sie selbst es schaffte, bis zum schmerzlichen Punkt zu kommen.
» Wir waren drei Geschwister. Mein jüngerer Bruder Jörgen, meine ältere Schwester Birgitta und ich. Wir wurden alle während des Krieges geboren. Unsere Eltern waren Kleinbauern. Sie waren sehr fleißig und hatten sich nach vielen Jahren ein kleines Kapital als Reserve erarbeitet. Dann ließ sich mein Vater von seinem Bruder überreden, alles in seinen neu eröffneten Werkstattbetrieb zu investieren, mit Aussicht auf großen Gewinn. Doch mein Onkel hatte kein Händchen für Geld, der Betrieb ging in Konkurs, und er verschwand nach Amerika, ohne etwas zurückzubezahlen. Die Reserve war dahin. Eines Frühlings schlug der Blitz ein, und die Scheune brannte bis auf die Grundmauern nieder. Im Jahr danach wurde die Ernte durch Regen vernichtet.«
» Was haben Sie dann gemacht?«
» Vater lieh sich Geld, um die Scheune wieder aufzubauen. Er mühte sich mit den Zinsen ab und arbeitete die ganze Zeit, kam aber ökonomisch nie wieder auf die
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