Wo der Elch begraben liegt
Marianne, dachte er. Wenn sie ihn nicht verlassen hätte, dann hätte er sich nicht jeden Freitag nach Hause schleppen und bis zur Bewusstlosigkeit besaufen müssen. Wenn sie nicht auf den Gedanken gekommen wäre, sich zu entwickeln und mehr aus sich zu machen, als in diesem ländlichen Kaff zu verfaulen, wo alle nur dicker, müder und älter wurden, wäre das alles nicht passiert. Verfluchte Marianne. Wie hatte sie bloß gehen können, wo er doch jetzt ohne sie vollkommen einsam und allein war? Sie hätte doch verstehen müssen, dass er niemals jemanden so sehr geliebt hatte wie sie, auch wenn es ihm schwergefallen war, dies auszudrücken. Wie konnte sie nur einfach aufhören, ihn so zu lieben, wie er sie liebte?
Er spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte und der Schmerz in den linken Arm ausstrahlte. Was wäre, wenn es sich um einen weiteren Infarkt handelte und nicht nur um die übliche Panik? Wie viel einfacher wäre dann alles. Schnell traf er einen Entschluss. So ging es nicht weiter. Er musste zum Auto; die Schwere, den Krampf, die Schmerzen bekämpfen. Verfluchte Marianne und verfluchter Lagerwall. Er zog seine Lederjacke an, verfehlte aber den linken Ärmel, knallte mit dem Oberschenkel hart gegen die Schreibtischkante und hastete hinaus, um zum Parkplatz zu kommen, dem einzig sicheren Ort.
Frida sah Åke die Treppe herunterkommen und zum Auto gehen. Sie stieg aus dem Auto und lief ihm entgegen.
» Åke! Haben Sie einen Moment Zeit?«
Åke hielt inne und blieb widerwillig stehen. »Ich… wollte nur was aus dem Auto holen«, sagte er und versuchte, es weniger dringend aussehen zu lassen, als es tatsächlich war.
» Eiwor Svantesson hat mich angerufen. Sie will, dass ich mit zu der Versammlung komme. Ist das nötig?«, fragte Frida.
» Das Treffen im Missionshaus«, sagte Åke und seufzte. » Mann, das haben wir ja auch noch. Harriet hat übrigens angerufen. Sie geht hin.«
» Nein, äh…«, setzte Frida an und hielt dann inne.
» Macht Ihnen das was aus?«
Frida wand sich und bereute, das Gespräch begonnen zu
haben. »Überhaupt nicht. Oder doch, vielleicht. Es ist mir unangenehm, dass sie jetzt auch noch enttäuscht von mir ist. Ich habe sie noch nicht mal getroffen, und jetzt ist sie böse auf mich.«
» Harriet ist nicht gefährlich, sie ist eher… merkwürdig. Wollen Sie zu der Versammlung mitkommen?«, fragte Åke.
» Ob ich das will?«, sagte Frida und überlegte, ob sie ganz ehrlich antworten sollte. » Am liebsten nicht. Ich mag es nicht, vor Leuten zu sprechen.«
Åke blickte sie lange an. Sie konnte förmlich sehen, wie er die verschiedenen Argumente gegeneinander abwog.
» Stehen Sie nicht hinter dem, was sie geschrieben haben?«, fragte er schließlich.
» Doch, natürlich. Das hab ich da drinnen ja auch gesagt.«
» Wovor haben Sie dann Angst?«
» Wovor ich Angst habe? Vor allem Möglichen.«
» Haben Sie nicht das Recht zu denken, was sie wollen?«
» Als Journalistin?«
» Als gewöhnliche Bürgerin und als Journalistin.«
» Doch, sicher. Solange ich niemanden diskriminiere oder verleumde, habe ich das wohl«, erwiderte Frida.
» Genau. Und haben Sie das getan?«
» Diskriminiert oder verleumdet? Nein… falls man nicht eine Ortschaft verleumden kann.«
» Das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen. In diesem Rennen gewinnt die Presse- und Meinungsfreiheit um Längen.«
» Dann…«, begann Frida und wartete darauf, dass er seine Schlussfolgerung zu Ende brachte.
» Dann lautet die Frage: Wovor sollten Sie Angst haben?«, sagte Åke.
» Ich weiß nicht…«
» Vor gar nichts, denke ich. Sie haben bloß einen schlafenden Bären geweckt, und wahrscheinlich war es auch an der Zeit, dass er aufwacht.«
» Und was bedeutet das?«
» Ich denke, Sie müssen zu der Versammlung mitkommen, wegen der Leser und wegen der Zeitung. Aber auch um Ihrer selbst willen. Wir müssen uns allerdings gut vorbereiten«, sagte Åke.
» Wie denn?«
» Wir müssen ihnen begreiflich machen, dass es richtig und wichtig war, so etwas zu schreiben. Und dazu taugen nur harte Fakten.«
Während Frida zum Auto zurücklief, drückte sie auf die Rückruftaste und wählte Eiwors Nummer, bestätigte ihre Teilnahme und erfuhr, dass die Versammlung in zwei Tagen stattfinden sollte, sodass auch möglichst viele teilnehmen konnten. Im selben Augenblick sah sie, dass Åke wieder die Treppe hinaufeilte. Wollte er nicht irgendwas aus dem Auto holen? Das musste er wohl vergessen haben.
Frida
Weitere Kostenlose Bücher