Wo der Elch begraben liegt
war er überrascht, versuchte auszuweichen, kam ins Rutschen, stieß mit dem Lastwagen zusammen, der überholt wurde, schlitterte dann über den Straßenrand auf den Acker und krachte gegen den Stein.«
» Also hat der überholende Wagen, der ihm entgegenkam, den Unfall verursacht?«
» So muss es wohl gewesen sein.«
» Ist jemand gefasst worden?«
» Nein. Ein paar Leute haben den Wagen gesehen. Er war rot. Und auf der linken Seite von Eriks Auto waren rote Lackspuren. Aber niemand hat das Kennzeichen gesehen, und keiner weiß, wer gefahren ist. Die Polizei hat sich auch keine große Mühe gegeben, das alles zu untersuchen.«
» Ein roter Wagen…«, sagte Frida. » Davon gibt es ja einige. Wann haben Sie angefangen, dort am Stein zu sitzen?«
» Drei Tage später. Ich hielt es hier nicht aus. Ich bekam keine Luft. Und danach konnte ich dann nicht mehr anders.«
» Aber wieso?«
» Was hätte ich sonst tun sollen? Zumindest bin ich ihnen dort so nahe, wie es geht. Nur dort habe ich das Gefühl, dass wir zusammen sind.«
» Und die Notizbücher?«, fragte Frida. » Was schreiben Sie da rein?«
Gunnel antwortete nicht, sondern stand auf und holte eines der Bücher aus dem Regal. Sie blätterte zu einer Seite mit Tabellen und Spalten.
» Sie denken bestimmt, dass ich verrückt bin. Das glauben alle. Aber ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Fahrer hier öfter vorbeikommt. Ohne besonderen Anlass fährt man diese Straße nicht entlang, man hat hier in der Gegend irgendwas zu tun. Ich begann, alle vorbeikommenden roten Autos aufzuschreiben, um zu sehen, ob ich ein Muster finden könnte, das zeigte, wann sie hier vorbeifuhren und wie sie fuhren. Nach ein paar Monaten dachte ich dann, dass die betreffende Person vielleicht den Wagen gewechselt hatte, um nicht wiedererkannt zu werden. Und dann habe ich angefangen, alle Autos aufzuschreiben, die ich gesehen habe.«
» Wohin soll das Ihrer Meinung nach führen?«, fragte Frida.
» Ich denke, dass eines Tages vielleicht die Last der Schuld zu schwer wird. Wenn ich hier jeden Tag sitze und ihn oder sie vorbeifahren sehe, gibt sich der Betreffende vielleicht irgendwann selbst zu erkennen, und erst dann werden Erik und die Kinder ihren Frieden finden.«
» Und Sie? Ist Ihr Leben nicht auch etwas wert?«
» Meinen Sie?«, erwiderte Gunnel.
» Was ist denn das für ein Leben, hier jeden Tag auf dem Stein zu sitzen? Glauben Sie, dass Erik das gewollt hätte?«
» Das ist eben mein Schicksal. Hätte ich ihn nicht gebeten, nach Hause zu ziehen, würde er heute noch leben. So gesehen ist es ja teilweise auch meine Schuld.«
» Also«, sagte Frida schließlich, » was sollte Ihrer Ansicht nach getan werden?«
» Am liebsten wäre es mir, wenn man die ganze Straße aufreißt und die Kuppe planiert, sodass man freie Sicht hat, aber so etwas ist wohl viel zu teuer. Aber eine Mittelleitplanke hätte sie ja schon gerettet. Es heißt doch Mittelleitplanke, oder? Ist das zu viel verlangt?«
Frida spürte, dass sie völlig erschöpft war, als sie nach dem Treffen mit Gunnel wieder nach Hause kam. So viel unterdrückten Kummer hatte sie vorher noch nie erlebt. Außerdem hatte sie hart kämpfen müssen, um Gunnel zu überreden, dass die Fotos von einem richtigen Fotografen gemacht werden sollten, am Stein, und nicht irgendwo vor dem Haus. Frida musste mehrfach erklären, dass sie keine professionelle Fotografin sei und nur manchmal ein paar einfache Aufnahmen machte, wenn niemand anderer Zeit hatte. Ein gutes Bild war schließlich wichtig. Das wollte Gunnel doch bestimmt auch? Ein richtig gutes Bild von ihr, und Bilder von der Kurve, aus verschiedenen Perspektiven? Zum Schluss willigte Gunnel ein. Einer der älteren Fotografen von der Zeitung sollte die Aufnahmen machen, wenn er auf dem Weg zu einer Sportberichterstattung in Mariannelund bei Gunnel vorbeikäme. Später rief er Frida an und berichtete, dass Gunnel abweisend und schweigsam gewesen sei und ihn weggescheucht habe, wenn er zu nahe an sie herankam, doch er habe Glück mit dem Licht gehabt und ein paar fantastische Bilder machen können, auf denen sie klein und einsam unter einem aschgrauen Himmel am Stein auf dem Acker an der Straße saß.
Frida hatte erwidert, dass sie das umfassende Material sichten und einen Text schreiben würde, der direkt und deutlich, glaubwürdig und ergreifend sein sollte. Åke wollte den Artikel am nächsten Tag in der Zeitung sehen, also war Frida gezwungen, fertig zu werden.
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