Wo der Elch begraben liegt
Dorfstraße gespenstisch. Wie hatten sich die Leute bloß an all die leeren Wohnhäuser gewöhnen können? An die schreiend leeren Schaufenster der aufgegebenen Geschäfte, an das einstmals großartige, doch nun zusammengefallene Gewächshaus, an die geschlossene Schule, die es mittlerweile sogar zu einem geschlossenen Café und geschlossenen kleinen Läden gebracht hatte, sowie an die völlig demolierten Geschäfträume der Bank? Sahen die Bewohner nicht selbst, wie kaputt ihre Ortschaft war?
Kurz vor Gunnels Stein bog sie ab; sie hatte für diese Runde keine Kraft mehr. Gunnel hatte den Text vorgelesen bekommen und nur ein paar kleine Änderungen vorgenommen. Frida war froh, dass sie auf einen professionellen Fotografen bestanden hatte. Das Foto war wirklich großartig und nahm auf der Seite richtig viel Platz ein, was für die Berichterstattung aus Bruseryd sonst eher ungewöhnlich war. Als sie heute Morgen vor dem Joggen die Reportage rasch durchgelesen hatte, hatte sie gedacht, dass die Geschichte wirklich fesselnd war. Sie lief ein Stückchen den unerträglich steilen Hügel in Richtung Härstorp hinauf und bog dann nach Osten ab, wo es wieder hinunterging und flacher wurde. Jetzt lag Mickes rotes Haus auf der linken Seite der Straße. Der Garten war verwildert und zugewachsen. Sie sah ein bläuliches Licht durch das Fenster der Erdgeschosswohnung scheinen. Hatte er ständig den Fernseher an? Als Frida näher kam, sah sie, wie er die Außentür öffnete und zur Straße und zum Briefkasten ging. Nahm er vielleicht ein spätes Frühstück ein? Frida wollte nicht, dass er sie so verschwitzt und mit gerötetem Gesicht sah, doch es gab keinen anderen Weg. Er blinzelte in ihre Richtung, schien sie zu erkennen, stand still und wartete, während er die Tageszeitung aus dem Briefkasten fischte. Wenn man beobachtet wurde, erschienen einem die Laufschritte immer viel schwerer als gewöhnlich. Frida zügelte ihr Tempo, versuchte sich unsichtbar zu machen und setzte gleichzeitig eine Miene auf, die hoffentlich so wirkte, als sei sie von der Anstrengung nur leicht berührt.
» Ist das Bruseryds Antwort auf Madonna?«, rief Micke, als sie gerade an ihm vorbeilaufen wollte.
» Wie bitte?«, fragte Frida.
» Na, Madonna ist doch immer draußen und läuft.«
» Das wär’s dann aber auch schon mit den Ähnlichkeiten«, schnaubte Frida und nahm seine Worte als Entschuldigung, um anzuhalten.
» Das kann doch niemals was bringen.«
» Natürlich bringt das was, ist aber verdammt anstrengend.«
» Ich glaube nicht an Bewegung.«
» Ach nein? Und woran glauben Sie dann?«
» Physischen Aufbau durch kosmische Energie und viel Ruhe«, erwiderte Micke todernst.
» Aber daran glaube ich nicht.«
» Ich auch nicht«, sagte Micke und grinste. » Aber es war ein netter Versuch, oder?«
» Na, es geht so«, erwiderte Frida und lachte.
Er stand einfach da und betrachte ihre roten Wangen und die Zipfelmütze. Sie überlegte, ob sie bleiben oder weiterlaufen sollte.
» Wie wird’s denn da heute Abend auf der Versammlung?«, fragte er schließlich.
» Keine Ahnung. Wahrscheinlich grauenhaft. Gehen Sie hin?«
» Nein, um Gottes willen. Ich hasse Versammlungen. Kaffeeklatsch ist nicht mein Ding. Ich kriege Platzangst«, sagte Micke und strich sich durch sein langes blondes Haar.
» Und was ist so Ihr Ding?«
» Tja, mein Ding… ich stopfe einen Elch in den Topf, gebe drei Flaschen Roten, etwas Knoblauch und ein paar schöne Pilze dazu, lasse alles einen Tag lang kochen, damit es schön zart wird, und lade am Freitag die schreibende Jogging-Madonna zum Essen ein. Ihr Ding?«
Frida spürte die Hitze wie einen Speer durch ihren Körper fahren. »Das könnte schon mein Ding sein, aber ich fahre am Wochenende nach Göteborg. Da kann ich nicht, leider.«
» Schade, dann werden’s nur der Elch und ich. Wir werden Whist zu zweit spielen. Dann vielleicht nächstes Wochenende?«
» Unbedingt. Wenn’s dann noch andere Tiere gibt, die Sie in den Topf stopfen können.«
» Ich lade den Zoo ein«, erwiderte Micke und ging wieder auf das Haus zu. » Viel Glück mit den Ureinwohnern heute Abend. Ertränken Sie sie in Kaffee, wenn sie zu lästig werden.«
» Mach ich. Viel Glück mit dem Elch.«
Frida winkte und lief widerwillig weiter. Ihr war gleichzeitig schwer und leicht zumute.
Åke hatte im Missionshaus alles zusammengestellt, was es an technischer Ausrüstung gab. Natürlich gab es keinen Beamer, der die Aufbereitung der Daten
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