Wo der Pfeffer wächst (Sonderpreis bis zum 31.07.2012) (German Edition)
über die Lippen zu bekommen. Ich muss etwas trinken.
Die Dame verschwindet kurz und kommt anschließend mit einem Glas und einem kleinen Fläschchen Tafelwasser wieder zurück.
„Frau Müller?“, ertönt die Stimme eines dicken, kleinen Mannes mit lichtem Haar. „Haben Sie Herrn Schmidt schon erreichen können?“
„Ja, Herr Dübel“, antwortet die junge Frau. „Es ist alles erledigt. Ich habe ihm einen Termin für morgen, fünfzehn Uhr gegeben.“
„Sie sind die Beste!“, lobt Herr Dübel herzlich und erweckt dabei den Eindruck, als wäre er stolz wie Opa. Er grüßt mich kurz und verschwindet anschließend wieder in das Nebenzimmer.
Frau Müller serviert mir derweil das Wasser. Als sie sich nach vorne beugt, um die Flasche und das Glas auf den Tisch zu stellen, fallen mir fast die Augen raus. Meine Güte, hat die Frau ein Dekolleté! Welche Körbchengröße ist das? E?
Betrübten Blickes schaue ich an mir herunter. Gegen den ihren ist mein Vorbau eine einzige kleine Mogelpackung. Für das A-Körbchen eigentlich zu groß, doch das B-Körbchen wirkt auch nur mit Push-up. Hinzu kommt der Nachteil, dass ich sofort wie ein Kegel aussehe, sobald ich an Gewicht zulege. Das wird Frau Müller bestimmt nie passieren. Ob die wohl echt sind?
„Hatten sie eine angenehme Fahrt?“, erkundigt sich Frau Müller gutgelaunt.
„Na ja“, entgegne ich zögerlich, „sie wäre sicher angenehmer verlaufen, wenn ich pünktlich hier gewesen wäre.“ Ich schluchze. Habe ich das etwa gerade wirklich gesagt? Das ist nicht gut. Bei einem Vorstellungsgespräch sollte man vor Selbstvertrauen strotzen, doch was tue ich? Heule mich bei einer netten, mir völlig unbekannten Dame aus, die ich vermutlich nie wieder sehen werde.
„Das geht vielen so, die zum ersten Mal hier herkommen“, erwidert sie zuversichtlich. „Aber sie haben ja ganz wunderbares Wetter mitgebracht. Wie ich gehört habe, sollen wir in diesem Jahr endlich mal wieder einen richtigen Sommer bekommen.“
„Ja“, sage ich unbeholfen. „Wäre gut möglich. Aber wenn es zu heiß ist, bekomme ich immer Kreislaufprobleme.“ Waaaas??? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Was erzähle ich denn da?? Kreislaufprobleme? Beim Arbeitgeber ist das ein versteckter Hinweis auf ,ich bin nicht belastbar‘. Ich Dummkopf!!!
„Sie kommen von weiter her, nicht wahr? Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie nach Hamburg möchten?“
„Tja …“, entgegne ich zögerlich. Was soll ich ihr jetzt bloß erzählen ... ?
Plötzlich resigniere ich. Bisher ist der Tag ein einziges Desaster gewesen, und im Hinblick auf mein Vorstellungsgespräch dürfte es kaum noch irgendwelche Aussagen geben, mit denen ich großartig punkten könnte. Warum also verstellen? Zum einen mag ich so etwas gar nicht, und zum anderen ist es auch noch furchtbar anstrengend.
„Momentan lebe ich am Arsch der Welt“, plaudere ich drauflos. „Da gibt es weder Jobs noch junge Leute oder irgendetwas anderes, das einen beschließen lässt, dort alt werden zu wollen – von interessanten Männern mal ganz zu schweigen.“
Einen Moment lang werde ich von Frau Müller verwunderten Blickes gemustert. Dann lacht sie plötzlich herzlich. „Das Problem kenne ich“, sagt sie munter. „Ich komme auch nicht von hier. Und bei mir hat es in etwa die gleich Gründe.“
„Ist das nicht schrecklich?“, frage ich sie, erleichtert darüber, dass ich in ihr offenbar eine Leidensgenossin gefunden habe. „Ich meine, da verbringt man sein halbes Leben an einem Ort, nur um eines Tages festzustellen, dass man dort nicht alt werden möchte. Das ist die einzige Erkenntnis, die ich in meiner Heimat gewonnen habe. Und es gibt tatsächlich nichts, was mich noch dort hält.“
„Was ist mit Ihrer Familie?“, fragt Frau Müller interessiert.
„Familie? Kennen Sie die Bundys aus der Sitcom , Eine schrecklich nette Familie ‘?“
„Ach herrje“, entgegnet sie mit geweiteten Augen. „Dann haben Sie ja wirklich gar nichts, was Sie dort hält. Glücklicherweise habe ich ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Familie, weshalb ich hin und wieder doch immer noch ein wenig Heimweh verspüre.“
Ich lache kurz auf. „Das Gefühl von Heimweh kenne ich gar nicht. Fernweh ist mir hingegen sehr viel geläufiger.“
Hinter dem Empfangstresen geht die Tür auf. Zwei Herren verabschieden sich voneinander. Während der eine, mit seinem Aktenkoffer in der Hand, in Richtung Ausgang eilt, flitzt Frau Müller in das Büro zu dem anderen
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