Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
Vom Netzwerk:
wie ein alter Hund; sein Schwitzen und Zittern schienen sich gegenseitig überbieten zu wollen. Irgendwann konnte er heulen – eine unendlich lange Minute.
    Ilonas Fürsorge nahm ihren Weg: Frische Luft, Wasser, Wein und Handtuch dienten der Hoffnung, Manfreds Zustand deutlich verbessern zu können. „Was für ein Traum!“, war dann Manfreds erste Äußerung, die eine solche Besserung zu beweisen schien. Bald hatte er die Kraft für ein Gespräch.
    „Schlimmer Traum?“, fragte Ilona rhetorisch. Was sie gehört hatte, machte sie neugierig.
    „Also...“, gedachte Manfred loszulegen. Aber im gleichen Moment überlegte er es sich anders, ganz offensichtlich wollte er mit seinem ursprünglichen Gedanken nicht mehr rausrücken. Er suchte nach passenden Worten. „Hm... Wie das so ist mit Träumen, auf einmal ist alles weg.“
    „‚ Halt‘s Maul, Werner!‘ hab‘ ich dich rufen gehört.“
    „Kaum zu glauben...“ Manfred fragte sich, ob Ilona zu grübeln anfing. „Es war wieder irgendwas auf der Titanic, glaube ich, kann mich an viel Wasser und Ertrinkende erinnern... und dass ich da allerhand Leute gesehen habe, die ich kannte.“
     
    *
     
    Manfred bekam Angst, ins Bett zu gehen. Ein Traum, der sich als wenig angenehm zeigen und ihn in Konfusion aufwachen lassen würde, lag im Bereich des Möglichen. Die Angst vor der Angst machte ihm den Schlaf, den er Zeit seines Lebens so genossen hatte, zum Feind.
    Manfreds Furcht vor Alpträumen bezog sich darauf, dass sein Unterbewusstsein ungesteuerte sprachliche Äußerungen produzieren könnte, die er definitiv vor niemandem machen wollte. Schon mit „Halt‘s Maul, Werner!“ hatte Ilona etwas mitbekommen, was Manfred nicht gewollt hatte.
    Aber, so fragte sich Manfred, was würde er womöglich zukünftig so alles im Traum herausschreien? „ Halt‘s Maul, Werner!“ hatte noch eine recht unverdächtige Bemerkung dargestellt, die Ilona nicht zwingend dazu einlud, Gedankengänge zu ersinnen, die Manfred nicht passten. Es konnte infolge eines Alptraums aber durchaus zu Bekundungen kommen, die sie stutzig machen könnten. Zumal Ilona selbst bei diesem harmlosen „Halt‘s Maul, Werner!“, wie Manfred sich gemerkt hatte, ins Grübeln gekommen zu sein schien.
    Manfred versuchte den Bogen nicht zu überspannen. Seine psychische Situation, wusste er, unterstand hoher Belastung; die Tür zur Paranoia stand weit offen. Manfred forderte von sich seinen Verstand.
    Aber das gelang ihm nur bedingt. Einmal Titanic, immer Titanic, musste er bald lakonisch feststellen. Denn regelmäßig versuchte nun Werner, Manfred zu belästigen. Wobei ihm Manfred dafür auch genügend Angriffsfläche gab: Die Krankheit machte Manfred zu schaffen, dabei ließ sie ihn selbst bei klarem Verstand nicht mit der Frage in Ruhe, wie lange er noch zu leben hat.
    Es war im Google-Zeitalter für Manfred nicht schwer, hierauf eine klare Antwort zu finden: In seinem Alter, in seinem Krankheitsstadium, bei zwei Operationen lag die Lebenserwartung zwischen einem und sieben Jahren. Bei sieben Jahren war definitiv Schluss; Manfred fand kein einziges Beispiel, dass einem Patienten bei seinen Voraussetzungen ein noch längeres Leben vergönnt war.
    Nun, so versuchte Manfred zu denken, kann er sich ja zum einen an der höheren Zahl orientieren und sich zum anderen daran erinnern, dass er auch schon gut 70 Jahre gelebt hat und oft genug in seinem Leben die Meinung geäußert hat – wobei er es zuweilen genossen hatte, in seinem Umfeld wegen dieser Äußerung als sehr lebenskräftig eingeschätzt worden zu sein –, dass alles über 70 Zugabe ist. Gemessen an dieser Einschätzung war eigentlich alles in Ordnung, hätte Manfred fühlen können.
    Fühlte er aber nicht. Die Einschätzung war eine Lüge gewesen, fühlte er stattdessen. Einen halbwegs lässigen Umgang mit der eigenen Endlichkeit schaffte er genauso wenig wie die meisten anderen Menschen. Er hatte sich diesbezüglich nur, und auch das hatte er gemein mit dem Gros der Lebewesen seiner Gattung, etwas vorgemacht.
    So hing das Schwert des Damokles jeden Tag über Manfred; Manfred konnte seine Krankheitsprognose nicht vergessen. Je mehr er sich auch anstrengte, irgendwann am Tag holte sie ihn ein.
    Und in dieser Lage, in der Manfred ständig an sein absehbares Ende erinnert wurde, meldete sich dann auch noch Werner. Besonders innovativ zeigte der sich dabei nicht, zur Begrüßung schrie er jedes Mal dieses „Manfred, du Mörder!“. Darüber hinaus

Weitere Kostenlose Bücher