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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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hatte sich Manfred beruhigt. Und irgendwann erzählte er den Traum. Nasenspitze an Nasenspitze lagen Ilona und Manfred eng umschlungen auf dem Bett.
    „Scheiß Schiffe“, schloss er seine Darlegung ab – das Liebespaar griente; ein Auge von Manfred überlegte, ob es zwinkern sollte. Sogleich wurde sein Gesicht wieder ernst.
    „Ich bin ein Weichei. Etwas, was ich nie sein wollte.“
    „Du weißt, wie fragwürdig das Wort ist, auch wenn du die männliche Seite immer gewollt hast.“
    Manfreds Augen nickten. „Das Subjekt der Moderne ist männlich und weiß. Und die Moderne ist blutig.“
    Spinnt sein Netz jetzt von neuem oder treibt es ihn zu gedanklichen Innovationen hoher Güte, staunte Ilona. „Schau an... Wie auch immer das sein mag, Manfred. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollst du denn ein Weichei sein dürfen? Begrab‘ das Wort.“
    Umgehend biss sich Ilona auf die Lippen; in diesem Moment vom Grab zu reden, fand sie völlig unpassend.
    „Kein Problem“, bemerkte Manfred. „Ich bin ja kein Weichei.“
    Beider Gesichter grienten erneut, diesmal länger anhaltend. Das nächste Glas Wein diente nicht mehr als Medikament, sondern dem Genuss. Ilona und Manfred wurden immer ruhiger. Irgendwann schliefen sie ein.
     
    *
     
    Wieder träumte Manfred. Und wieder hörte er dabei die verzweifelten Schreie. Und wieder sah er, wie die schwere Tür des Kühlraums unter den Schlägen von Fäusten und Möbelstücken erzitterte. Der Raum neigte sich mit der sinkenden Titanic immer schräger; alsbald trampelten die Menschen mit ihren Füßen gegen die Tür.
    Zunehmend klang das Stampfen gedämpfter, das Wasser strömte über den Boden des immer mehr über statt neben Manfred liegenden Raumes. Würde die schwere Tür dem Gewicht der Wassermassen und der Menschen standhalten können?
    Eigentlich eine völlig unwichtige Frage, konnte Manfred bei allem Panikgefühl noch denken. Fast sind die Leute über ihm, dank der Aussicht auf einen wesentlich schnelleren Tod, als er ihn zu erleiden haben wird, zu beneiden.
    Da Manfred in seinem Traum nach Halt suchte, nahm er diesen Gedanken gerne an, der ihn im Folgenden zum Lachen brachte, als er sich vorstellte, mit den Passagieren auf der anderen Seite der Katastrophe eine von einem Mediator geleitete Aussprache über die Frage zu führen, welcher Tod denn der humanere sei. „Zwischenfragen sind erlaubt, ansonsten hoffe ich auf den guten Willen aller Beteiligten“, sah Manfred den Vermittler den Dialog eröffnen.
    Schön, dass ich gerade abgelenkt werde, wusste Manfred die diesbezüglichen Anstrengungen seiner Seele zu schätzen, denn er musste kein Prophet sein, um sich vorstellen zu können, dass ihm in der noch verbleibenden Zeit jenseits nackter Todesangst kaum noch etwas erwarten dürfte. Aber ganz so sollte es vorerst nicht kommen. Ich verschwinde einfach, wenn der Tod kommt, konnte Manfred mit einem weiteren Anflug von Süffisanz denken, bevor das Grauen dann Wirklichkeit wurde.
    Wobei das Grauen gar nicht einen Todeskampf betraf, der Manfred jetzt bevorzustehen schien. Nein, ganz im Gegensatz zu seinen Erwartungen starb er überhaupt nicht. Es kam viel schlimmer.
    Weiterhin verlangten die Menschen in aller Vehemenz den Eintritt in seine Kammer, obwohl ein entsprechendes Unterfangen immer weniger eine deutliche Verzögerung des Todes versprechen konnte, denn mit einem Öffnen der Tür würden auch große Wassermengen in den Kühlraum strömen. Man konnte eigentlich nur noch darüber streiten, ob eine Flucht in Manfreds Grab um wenige Minuten oder einige Sekunden das eigene Leben verlängern könnte.
    „Aber immerhin!“, waren sich die Seelen schräg oberhalb von Manfreds Aufenthaltsort einig. Wenn es denn richtig ist, dass eine Minute unendlich lang sein kann, warum sollte man nicht darauf hoffen können, dass diese Unendlichkeit einem in genau der Minute begegnet, die in Manfreds Raum noch möglich sein könnte?
    Bald waren sich alle tobenden Seelen einig: Manfred will uns unsere Option auf die Unendlichkeit einer Minute nehmen!
    Und dass das eine Anmaßung, ja eine Ungeheuerlichkeit ist, davon mussten sich die Seelen nicht großartig gegenseitig überzeugen, das war ja wohl klar in dieser wenig gemütlichen Situation. Und wie reagiert man auf Unverschämtheiten? Gemäß den aktuellen Umständen so, dass man sie kommuniziert.
    „Du Schwein!“, hörte es Manfred infolgedessen von oben rufen. Kommt hin, überlegte Manfred angesichts der Unmengen von

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