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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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zeigte sich Werner sehr bemüht, einige Sätze, die er vor über einem viertel Jahrhundert unter der Mintarder Autobahnbrücke gesagt hatte, zu wiederholen.
    Immerzu wiederholte Werner sich, etwas, woran sich Manfred trotz aller Anstrengungen nicht gewöhnen konnte; die ständige Wiederkehr des Gleichen führte nicht etwa zur Abstumpfung, sondern zur ständigen Wiederkehr des Schreckens, die mit diesen Sätzen für Manfred verbunden war.
    Dass seine Alpträume auf die Ereignisse um Werners Tod zurückzuführen waren, hatte Manfred natürlich schon ziemlich am Beginn seiner Titanic-Träume erraten können. Es war für Manfred dann nicht schwer alsbald festzustellen, dass er Schuldgefühle hatte. Wobei er den Begriff der Schuld jedoch nicht so einfach stehen lassen wollte. Denn ob man wirklich sagen kann, dass er Schuld an den damaligen Ereignissen hatte, hing für ihn davon ab, wie man diesen Begriff genau definiert. Manfred verzichtete im Moment auf die Anstrengung einer Begriffsdefinition, für ihn war es jetzt nur ausschlaggebend, dass er Schuld fühlte. Und dass ihn diese gefühlte Schuld quälte.
    Er versuchte die Qualen zur Seite zu drängen, denn aus vielerlei Gründen wollte und konnte er nicht versuchen, ihrer dadurch Herr zu werden, dass er sich mit jemandem, schon gar nicht mit Ilona, darüber unterhielt. Die Verdrängung seiner Schuld war alternativlos, wenn er seine Identität nicht verlieren wollte.
    Und Manfred verdrängte schon bald sehr erfolgreich. Immer ging er seiner gefühlten Schuld gegenüber Werner hartnäckig aus dem Weg, wenn sie sich meldete. Nur weil ich vielleicht bald sterben muss, soll die Schuld bloß nicht glauben, sie könne mit mir machen, was sie will, erzürnte sich Manfred. Verdrängung ist gut, weil sie richtig ist, fand er zu seinem Erstaunen.
    Jedoch hatte er für die Verdrängung einen Preis zu zahlen. Die Schuld suchte Vergeltung. Dabei war sie sehr geschickt.
    Die Schuld ließ Manfreds Leben wie einen Film durch seinen Kopf ziehen und fragte dauernd nach Manfreds Anteil an der Szene, die gerade lief. Die Schuld wurde Manfreds ständiger Begleiter, dabei zeigte sie sich immer in der Absicht, ihn an seinen Erinnerungen leiden zu lassen. Oft trieb sie Manfred sogar in den Tagtraum. Er starrte dann nicht ansprechbar in die Luft und konzentrierte sich dabei auf den Film, der vor seinen Augen diejenigen Bilder seines Lebens abspielte, in denen er sich falsch verhalten haben soll.
    Dabei zeigten sich eigentlich nur persönliche Vergehen geringer bis mittlerer Schwere. Eher nichts Besonderes, allesamt Sachen, die sich bei einem Menschen im Laufe eines Lebens halt so ansammeln können. Übermut, Ignoranz, Rachsucht und sozial schwer verträgliche Wollust standen auf Manfreds spezifischer Negativliste. Dabei hätte man trefflich darüber streiten können, ob seine Reaktionen zuweilen verständlich, menschlich oder schlicht und einfach völlig egal waren. Oder ob sie sogar auch mal richtig waren; ein hohes Gericht wäre möglicherweise bei dem ein oder anderen von Manfreds Vergehen zu einem solchen Urteil gekommen, jedenfalls dann, wenn nicht gerade der liebe Gott die Verhandlung geführt hätte.
    Aber die Schuld war bei Manfred gar nicht auf Gerechtigkeit oder einen ähnlichen Wert höherer Rangordnung aus. Sie wollte ja, wie gesagt, Vergeltung dafür, dass Manfred der Frage eigener Abwege bei den Ereignissen an der Mintarder Autobahnbrücke hartnäckig auswich. Die Schuld wollte Manfred an den Kragen. Und da sie dabei auf nur noch wenig reißfestes Material traf, war sie mit ihrem Vorhaben ausgesprochen wirksam.
    Dabei schreckte die Schuld anfangs auch nicht davor zurück, sich über Manfred lächerlich zu machen. Sie trieb Manfred in den Trübsal, als er daran erinnert wurde, dass er einmal Privatschulden in Höhe von zehn Mark nicht zurückgezahlt hatte, oder dass er an der Schlange in einem Supermarkt einen Schokoladenriegel gegessen hatte, ohne ihn zu bezahlen, oder dass er sich vor Jahrzehnten ungerechtfertigter Weise gegenüber einem Menschen in Rage geredet und seine Fassung verloren hatte. Hilflos erfuhr Ilona die Gefühlsverstimmungen ihres Mannes. Für sie war es eindeutig, dass Manfreds Reaktionen die Folge einer irrationalen Verarbeitung seiner diffusen Lebens- und Todesängste darstellten. Von dem tieferen Zusammenhang seiner grotesken Selbstvorwürfe mit der Schuld, die Manfred gegenüber Werner empfand, ahnte sie nichts.
    Irgendwann begann die Schuld dann mit den

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