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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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Schweinefleischkonserven, auf denen er lag.
    „Du Verbrecher!“, kam es kurz hinterher. Das ist nun der Lohn eines bemühten Lebens, dachte Manfred.
    Zu diesem Zeitpunkt ahnte Manfred noch nicht, dass ihn sein Humor nicht mehr würde retten können. Denn irgendwann trafen die verbalen Entgleisungen bei Manfred auf Synapsen, denen es augenblicklich zu viel wurde.
    Aber noch war es nicht soweit. Die Beschimpfungen „Unmensch“, „ Egoistensau“ und „Banaler des Bösen“ ertrug Manfred noch mit einer Mischung aus Gleichmut und Überforderung, dabei bewegte er sich zuweilen in einem Zustand, an dem er an gar nichts mehr dachte. Das ist neu für mich, dachte er dann aber doch noch.
    Eine neue Qualität an Vorwürfen vermochte Manfred auch nicht zu erkennen, als man ihn des Verrats bezichtigte. Eher empfand er den Begriff als Ausdruck von Hilflosigkeit. Denn in seinen Augen war die Titulierung als Verräter „sachlich schlichtweg falsch“, wie er murmelte.
    Aber bei der nächsten Kritik war dann Schluss mit lustig. Zuerst wollte Manfred ein unbedarftes „Ja, ja“ denken, nachdem er das Wort gehört hatte, aber schon beim zweiten Ja war er stecken geblieben.
    „Mörder! Mörder!“, hatte jemand geschrien. Das saß. Die Beiläufigkeit, wie er mit dem „Ja, ja“ darauf reagierte, war nicht durchzuhalten. Irgendeine Gehirnzelle verlangte unmittelbar Aufmerksamkeit, eine Zelle, die aus demjenigen Areal des Gehirns kam, in welchem die Erinnerungen gespeichert sind.
    Die verbale Anklage wiederholte sich im Folgenden in leichter Abwandlung, nun umfasste das Geschrei ein weiteres Wort. „Du Mörder! Du Mörder“, schrie es durch die Tür hindurch. Inhaltlich schien die Artikulation des Personalpronomens nichts an der Bedeutung zu ändern, aber Manfreds so besonders aufmerksame Gehirnzelle fühlte sich durch die persönlichere Art noch einmal erheblich aufgewertet und war nun durch nichts mehr von ihrer Neugier abzubringen.
    Und als es dann sogar in den Kühlraum klang „Manfred, du Mörder!“, verlangte die Gehirnzelle ganz selbstverständlich die Hegemonie im Nervenzentrum. „Alles klar“, antworteten die anderen Nerven lapidar, sofort registrierend, dass sie sich mit ihrem Ziel der Realitätsverweigerung nicht würden durchsetzen können.
    Im Folgenden prasselte der Schrei „Manfred, du Mörder!“ immer wieder auf Manfred ein, dabei wurde es für die siegreiche Gehirnzelle bald eindeutig, von welcher Stimme das Gebrüll getragen wurden. Ein Zweifel war ausgeschlossen – es war die Stimme von Werner! Die sich diesbezüglich todsicher zeigende Zelle fragte sich auch, ob sie diese drei, so aggressiv wie verzweifelt gerufenen Wörter „Manfred, du Mörder!“ von der gleichen Stimme schon früher einmal gehört hatte. Im Moment fehlte es jedoch an Ruhe und Zeit, um auf diese Frage eine Antwort finden zu können. Denn der Körper von Manfred wehrte sich gegen eine Bestandsaufnahme, er versuchte mit aller Macht dem Gehörten zu entfliehen. Wild schlug Manfred um sich, Dosen mit Schweinefleisch schmiss er gegen die Tür, er zappelte mit allen Gliedern. Und er bekämpfte diese Gehirnzelle, die ihm jetzt solchen Ärger machte. „Halt‘s Maul, Werner!“, schrie er. Wobei Manfred glaubte, nun verrückt werden zu können, denn eine andere Zelle – noch so ein Wichtigtuer, dachte er – stellte die Frage, ob auch diese Wörter nicht schon einmal so gefallen sind und zwar von ihm selbst. Manfred zappelte und kratzte und warf und schrie. Bettdecke und Kopfkissen schmissen schon bald die Monitore vom Schreibtisch; Fingernägel ritzten mit ungeheurer Kraft tiefe Spuren in seine Oberarme; die Nachttischlampe aus Porzellan zerbrach in einer Unmenge von Scherben auf dem Boden und von neuem schrie er, gerade als Ilona ins Zimmer stürmte, „Halt‘s Maul, Werner!“
    Ilona stellte Manfreds Ausspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den Mittelpunkt ihres Interesses, sondern erst einmal ging es ihr um die mittlerweile schon oft praktizierte Beruhigung ihres Ehemanns. Sie suchte in der Hoffnung, Manfred einfangen zu können, den festen Augenkontakt mit ihm, rief mehrmals hintereinander: „Ich bin‘s, Ilona, deine Frau. Alles ist in Ordnung Manfred“ – was hätte sie in dieser Situation auch groß anders machen sollen. Bald zeitigte der Versuch der Kontaktaufnahme Erfolg. Manfred erkannte seine Frau, er war aufgewacht aus seinem Alptraum. Im Nu streckte er seine Arme nach ihr aus, bald lag er in denselben. Er keuchte

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