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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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hatte Rasen- und Pflanzengestaltung immer abgelehnt und Ilona irgendwann genug davon. Schon bald führte die Vegetation ein bizarres Eigenleben. Dass infolgedessen der Nachbar nicht mehr mit ihnen sprach, sahen Ilona und Manfred als Gewinn.
    „Der Professor und der Mann mit der Augenbinde hatten es sich besonders angetan.“
    „Kaum zu glauben, ein wütender Geistesmensch und ein Bankier... Conny und Aaron waren auch ein kleines Extrapaar. Jürgen war mehr mit sich selbst beschäftigt...“
    „Falsch“, unterbrach Ilona, „jedenfalls was die zweite Zusammenkunft betrifft. Irgendwann setzte sich Hermine Seligen zu ihm, danach schienen die unzertrennlich gewesen zu sein.“
    „Tatsächlich? Hier dürfen wir wohl am ehesten auf eine verwegene Fortsetzung der Begegnung in den Abstellräumen des Gasthauses tippen. Zusammen kommen die ja auf gerade einmal 150 Jahre.“
    Von neuem lachte Ilona, wobei es ihr nicht nur der Schalk ihres Mannes angetan hatte. Sie freute sich, dass Manfred gerade einen freien Kopf hatte, etwas, was seit dem Ausbruch  seiner Krankheit alles andere als üblich war. Er hatte zwar die allzeitige Gesprächsbereitschaft seiner Frau und ihre Art, ihn abzulenken, sehr geschätzt, aber meistens war er in sich gekehrt. Und nicht nur das.
    Manfreds schon immer dagewesene Neigung zum Grübeln explodierte inzwischen manchmal zu einem Feuerwerk von Gedanken. Wirr war es dann in seinem Kopf, ein Zustand, der einen typischen Ausdruck des Umgangs mit einer lebensbedrohlichen Krankheit darstellte. Die Gehirntätigkeit kann, wie Manfred wusste, bei existenzieller Bedrohung durch eine schlimme Krankheit so stark beansprucht werden, dass die Synapsenbildung nicht hinterherkommt – das vorhandene Netz ist überfordert; es scheitert bei dem Versuch, der Nachfrage nach Klärungen entsprechen zu können; das Netz dehnt sich ohne Sinn aus. Das Netz, und somit der Mensch, spinnt.
    Bisher hatte Manfred entsprechende Zuspitzungen nur selten erfahren. Sie hatten sich im Wesentlichen auf die Zeit unmittelbar nach der Diagnose seiner Krankheit beschränkt, als er befürchtete, bald vielleicht schon tot zu sein.
     
    *
     
    „Scheiße, Herr Semmler.“
    Sofort mochte Manfred den Arzt. Wer sagt das schon zu jemand Fremdem, selbst wenn es nun wirklich nichts anderes zu sagen gibt, dachte er.
    Jeder fünfte Patient des Stadiums II erleidet irgendwann einen Rückfall. Manfred hatte gerade erfahren, dass er zu dieser Minderheit gehört.
    Eine zweite Operation wurde nötig, keine drei Monate nach seiner ersten. Das weitere Rückfallrisiko schätzte der Arzt, nachdem er einige Sekunden überlegt hatte, als „wohl vielleicht gering“ ein. „Der Tumor ist ganz weg. Die Frage ist, ob noch Krebszellen im Darm agieren, die einen erneuten Rückfall auslösen können. Mit Hilfe von Ultraschall oder Computer- oder Magnetresonanztomographie lassen sich die Mikrometastasen nicht nachweisen.“
    „Bleibt also nur Prinzip Hoffnung“, hörte man Manfred sagen.
    „Wir können eine Art vorbeugende Chemotherapie machen. Ob das Sinn macht, weiß ich nicht. Wenn da keine Krebszellen mehr sind, ist die überflüssig.“
    Der Arzt schien über seine folgenden Worte einen Moment nachzudenken. Dann sagte er: „Lesen Sie sich rein in die Frage, sie werden die Erklärungen auf unserer Homepage gut verstehen. Ich empfehle Ihnen gar nichts.“
     
    *
     
    „Lieb hab.“
    Manfreds Netz hatte gesponnen. Wieder einmal, musste man mittlerweile sagen. Die Titanic hatte ihn eingeholt. Abermals war er im Kühlraum. Die Ertrinkenden klopften gegen die Tür, sie wollten auch in den zweifelhaften Schutzraum. Manfred antwortete nicht. Die Todgeweihten schlugen gegen die dicke Aluminiumtür. Erst mit den Fäusten. Dann mit allerhand Gegenständen. Immer lauter schrien sie um Einlass. Manfred wusste nicht, was er tun sollte; klar war, mit den Leuten kommt auch das Wasser. Ein Alptraum. Mit einem langgezogenen Schrei wachte er auf. Fast zeitgleich stürzte Ilona in sein Zimmer. Augenblicklich fiel sie in sein Bett und umklammerte ihn.
    Es war halt das Erste gewesen, was sie sagte: „Lieb hab.“
    Manfred keuchte, kniff die Augen zusammen, er drehte seinen Kopf zur Seite. Schämt er sich etwa?, fragte sich Ilona. Sogleich drückte sie ihren Mund auf seine nasse Stirn, dabei umfassten ihre Hände alles, was sie von seinem Gesicht kriegen konnten. „Wir halten zusammen.“
    „Ich will trinken. Wein!“
    „Ja.“
    Zumindest wirkte der Alkohol; irgendwann

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