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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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zugezwinkert, bevor Ilona den Zündschlüssel umdrehte.
    „Österreich ist schön“, sagte Manfred, als sie die Grenze überschritten hatten und längst die Autobahn für ihre Fahrt gewählt hatten. Sein Ziel, sich nochmal von Herzen zu freuen, gedachte er nicht zuletzt durch seine Landschaftseindrücke zu erreichen. Im Moment meldete sich bei jedem seiner sinnlichen Blicke in die weiträumige Berglandschaft, die sich langsam als Vorläufer der Dolomiten vorstellte, immerzu die Frage, die er hoffte in Klausen beantwortet zu bekommen.
    Schade, dass es keine Grenzen mehr gibt, sinnierte Manfred bei der Fahrt über den Brenner, als ein alter Grenzstein ihn auf den Gedanken brachte, dass sich hier deutsche und italienische Faschisten mal siegesgewiss die Hand gegeben hatten. Warum denke ich jetzt darüber nach? Klar, weil Ilona neben mir sitzt. Wie das? Weil die Liebe zu Ilona die größte Antriebskraft in meinem Leben war. Zusammen eben mit meiner Auseinandersetzung mit dem Faschis... – Manfred wollte den Begriff nicht mehr denken; er ekelte sich vor diesem Wort. Alles auf einmal fiel ihm nun ein, was er in den Jahren zwischen Mitte der 60er Jahre und dem Abschluss seiner Diplomarbeit über den Faschismus studiert hatte.
    Manfred sinnierte, dass er diesen beiden großen Antriebskräften seines Lebens, also Ilona und der Auseinandersetzung mit dem Faschismus, mit einem unterschiedlichen Wahrheitsbegriff begegnete. Die Wahrheit war ihm heilig, wenn es um das Thema ging, das ihn Zeit seines Lebens verfolgt hatte. Viel flexibler ging er mit der Wahrheit um, wenn es um die Erfüllung seiner Liebe zu Ilona ging. Denn von seinem Aufenthalt in den Katakomben unter der Mintarder Autobahnbrücke hatte er ihr ja nun nichts erzählt. Wie geht das zusammen?, fragte er sich. Und warum fällt mir diese Frage erst jetzt ein?
    „Was denkt Schatz denn so viel?“, fragte Ilona.
    „Liebst du mich?“
    „Ja.“
    „Um Gottes Willen!“
     
    *
     
    Ilona wartete auf dem Campingplatz von Klausen auf die Rückkehr von Manfred, der sich mit dem Taxi auf dem Weg in die Innenstadt aufgemacht hatte, um Embrina Magotti zu besuchen. Frau Magotti lebte immer noch in Klausen, über Klaus Wilkens hatte Manfred bei seinen vor Reiseantritt getätigten Recherchen nichts erfahren können. Alles sprach dafür, dass er verstorben war. Schließlich wäre er jetzt schon über neunzig Jahre alt.
    Manfred hatte unmittelbar nach Eintreffen auf dem nur wenig belegten Zeltplatz von der schönen Sicht bergaufwärts zu den Wäldern und Wiesen geschwärmt, ein Anblick, der ihm bereits vor über 30 Jahren, als er hier mit einem kleinen Hauszelt übernachtet hatte, gut getan hatte. „Setz‘ dich mit Sicht zu den Bergen ans Fenster und trink ein Glas Wein. Genieß‘ die außergewöhnliche Aussicht“, hatte er Ilona mit Begeisterung aufgefordert, bevor er ins Taxi stieg und verschwand.
    Und da saß Ilona nun und versuchte nachzuvollziehen, warum das sich vor ihren Augen ausbreitende Panorama denn so spannend sein sollte. Sicherlich, so beobachtete sie, waren die Wälder, Berge, Wiesen, Zäune und nicht zu vergessen die Kühe in einer einmaligen Anordnung zu sehen. Aber kann man deswegen gleich von einer neuen Qualität der Landschaftsgestaltung sprechen? Auch jedes Fußballspiel verläuft anders, ohne dass dadurch die doch eher banalen Grundeigenschaften des Spiels auf eine höhere Stufe gehoben werden. Nein, fand Ilona schlussendlich, die Aussicht ist schön, aber außergewöhnlich nun wirklich nicht.
    Womit ihre Gedanken zu dem übergeleitet wurden, was sie nun viel mehr interessierte. Manfreds „Um Gottes Willen!“, mit dem er bei der Autofahrt auf ihre Liebesbekundung geantwortet hatte, die war nämlich durchaus außergewöhnlich. Dafür sprach ihres Erachtens zum einen schlicht die Tatsache, dass sie im Moment über Manfreds Ausruf überhaupt nachdenken musste, und zum anderen ihr gutes Gefühl, dass sie sofort nach dem Hören der drei Wörter empfunden hatte. Manfred hatte mit diesem kurzen Ausspruch zu verstehen gegeben, dass er eine Menge Eigenschaften hatte, die es einem Mitmenschen erst einmal nicht leicht machen, ihn lieben zu können. Dass war für Manfred eine ganz bestimmt außergewöhnliche Bemerkung, denn eigentlich war Stillschweigen typisch für ihn, wenn es um seine negativen Seiten ging; ließ er diesbezüglich doch einmal etwas zu, mischte sich schnell, wie um das Gesagte sofort zu relativieren, eine Portion Selbstgefälligkeit in seine

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