Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
wollen bestimmt zur Sprechstunde von Embrina Magotti.“
Bei der Sprechstunde muss es sich um eine Gesprächsmöglichkeit für Leute handeln, die sich tagsüber nicht freinehmen können, folgerte Manfred.
Manfred wurde in das Zimmer geleitet, in welchem er schon vor Jahrzehnten gesessen hatte und das damals mit seinen Endlosregalen den Eindruck einer spannenden Bibliothek auf ihn gemacht hatte. Nun war es ein nett eingerichtetes Arbeits- wie Wohnzimmer, das mit leichten Möbeln Manfred auf Anhieb zu gefallen wusste. Frau Magotti muss es recht gut gehen, vermutete er.
Ihr Lächeln war ebenso freundlich wie professionell, als sie eintrat. Ihre Kleidung könnte einer Marco-Polo-Kollektion für Frauen in der Zeit nach ihrem besten Alter entstammen, kombinierte Manfred. Embrina Magottis Körperhaltung bestand ganz auf den Ausdruck einer Dame, die sich ihrer weiblichen Ausstrahlung sehr bewusst ist.
„Sie wollen klären, ob Sie für den Zuschuss für die energetische Sanierung Ihres Hauses in Frage kommen“, erwartete Embrina Magotti, setzte sich an dem Schreibtisch und schlug einen Ordner auf.
„Nein.“
„Was für eine Abwechslung. Zurzeit haben wir ja kaum ein anderes Thema in der Gemeinde.“
„Ich komme, um von Ihnen zu erfahren, warum mir Klaus Wilkens vor über einem viertel Jahrhundert eine Glückwunschkarte zu meiner Hochzeit geschickt hat, obwohl er meine wahre Identität doch eigentlich gar nicht kennen konnte.“
Embrina Magotti schlug den Ordner zu. Klassisch verzogen sich ihre Augenbrauen, als sie sagte: „Wie bitte?“
„Ich stellte mich Herrn Klaus Wilkens und auch Ihnen vor 32 Jahren in diesem Haus als Ephraim Koshe von der Annemarie-Deffgens-Stiftung vor. Ich erhielt von Ihnen Akten der Keller-Gestapo. Ich besuchte Sie bald darauf ein zweites Mal, um Näheres über eine in den Akten genannte Person zu erfahren, ein Mensch, der, wie ich es Ihnen damals aber nicht mitteilte, meinen Vater auf dem Gewissen hat.“
Bei der Überlegung, was nun zu tun ist, fiel Embrina im Moment nur ein, jemanden herbeizurufen.
„Klaus? Kommst du mal bitte.“
Manfreds Herz pochte. Von wegen Klaus Wilkens ist tot! Das gibt es doch gar nicht!
„ Klaa-us!“ Ungeduld sprach aus ihrer Stimme.
Noch kam niemand durch die Tür. „Lassen Sie ihm einfach Zeit“, mischte sich Manfred ein. „Im zehnten Lebensjahrzehnt ist der Mensch eher langsam.“
Embrina Magottis Augenbrauen wollten sich gerade erneut verziehen, da trat er ein.
Manfred atmete tief durch. Er freute sich zu sitzen, sonst hätte er jetzt eine Stütze benötigt.
An der Tür stand der schlaksige Mann von eben mit den langen Haaren, auch die Zigarette, anscheinend obligatorisch, fehlte nicht. „Mein 25 Jahre jüngerer Mann“, stellte Embrina Magotti genüsslich ihren Klaus vor. „Klaus, weißt du, wen wir vor uns haben?“
Und nach dem „Du wirst es mir gleich bestimmt erzählen“, erfuhr Klaus, der für Manfred ab sofort Klaus II. hieß, es dann postwendend. Und zwar in einer so auf den Punkt gebrachten Systematik, dass nun Manfred derjenige in diesem Raum war, der die Augenbrauen verziehen musste.
Klaus II. merkte Manfreds Erstaunen. „Ihre Geschichte war mir von meiner Frau schon bald nach dem Tod von Klaus Wilkens ausführlich dargelegt worden.“
„Auch die Frage, weshalb ich heute hier bin?“, nahm Manfred die Vorlage auf.
„Weshalb sind Sie denn heute hier?“
„Ich möchte wissen, warum Klaus Wilkens mir eine Glückwunschkarte zu meiner Hochzeit schickte, obwohl er mich eigentlich für einen Angestellten einer Nazijäger- Organisation halten musste.“
Klaus II. guckte seine Frau mit großen Augen an, als ob er nicht wusste, was er erzählen darf. Wenn das Paar vor mir, dachte Manfred, sich in einen dominanten und in einen devoten Teil aufteilen lassen sollte, dann sind die Rollen schnell zugeschrieben.
„Manfred Semmler alias Ephraim Koshe“, sprach Embrina Magotti, „darf das natürlich erfahren. Und wenn es wirklich mit ihm so schlecht bestellt ist, wie er aussieht, sollten wir damit nicht allzu lange warten.“
Manfred verstand die Unfreundlichkeit, immerhin hatte er sie und Klaus Wilkens mal kräftig belogen.
„Sie erinnern sich noch, wie Sie sich zum Schluss Ihres zweiten Besuchs verhalten haben und wie Sie dann ohne ein Wort auf einmal verschwanden?“, begann Embrina Magotti ihre Darlegung mit einer Frage. „Außer sich waren Sie, nachdem mein Mann Sie darüber aufgeklärt hatte, dass es sich bei dem
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