Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
ihre bisherige Klarheit der Analyse wollte sich nicht mehr widerspruchslos entfalten. Hatte Embrina Magotti ihren Klaus Wilkens wirklich noch geliebt, nachdem er sich als Mörder offenbart hatte? Manfred hatte das ja nicht interessiert, er war wohl zu sehr mit sich selbst beschäftigt, irgendwie verständlich. Aber wenn sie das ausgehalten hat, warum habe ich dann mal wirklich, nach dem Gespräch mit dem Schulleiter, so Böses über Manfred fühlen müssen? Andere Herzen lassen sich nicht so schnell ihre Treue nehmen, dachte Ilona, jedenfalls war es ja bei Embrina Magotti so.
Aber halt. Ich weiß es eben nicht und wenn ich Manfred jetzt in seiner letzten Lebensphase gerecht werden will, dann ist es vielleicht ganz gut zu wissen, wie herzenstreu andere Menschen so agieren können. Ich will ihm nicht mehr, wie das ja viele Wochen Alltag bei mir war, unausgeglichen und grimmig begegnen, er soll eine uneingeschränkt geliebte Zeit erleben. Das hat er verdient. „Frag‘ sie doch!“, hatte Manfred gesagt, auch wenn er das wohl nur so gesagt hatte, weil er genervt war, weil ich so penetrant gebohrt hatte. Genau, das kann mir helfen. Das mache ich. Von Frau zu Frau sozusagen. Sie ist ja anscheinend ganz nett und wird mich nicht abweisen, wenn ich mich halbwegs gut erkläre.
*
„Nein, mir ist das Gespräch nicht zu viel“, sagte Embrina Magotti. „Aber ich brauche mehr Freiraum bei dem Thema. Ich sitze gerade über Akten und gleich ruft mein Koch, äh... mein Mann. Können Sie mich um Mitternacht noch mal anrufen?“
Wertvolle Menschen mögen oft die Nacht, sinnierte Ilona und verabschiedete sich höflich. Bis zur vorgeschlagenen Zeit blieben ihr noch vier Stunden. Eine Zeit, in der sie nichts tat, außer in die Luft zu gucken.
Dann wählte sie erneut die Nummer. Der Begrüßung folgte ein kurzes wie herzhaftes Auflachen von Embrina Magotti.
„Sie müssen entschuldigen“, erklärte sich Embrina Magotti, „aber ich habe mich gerade daran erinnern müssen, dass Sie vorhin um meine Bereitschaft zu einem intimen Gespräch baten. Die Formulierung hatte mich doch etwas irritiert.“
„Stimmt, das war blöd ausgedrückt. Ich fühlte mich unsicher.“
„Das erleichterte es mir genauso Ihrem Anliegen entgegenzukommen wie die Tatsache, dass Sie die Frau von Manfred Semmler sind... Manfred ist anscheinend sterbenskrank... Sie sagten vorhin, dass es Ihnen gut tun würde, wenn Sie etwas von mir wissen...“
Ilona nahm die Aufforderung, zur Sache zu kommen, dankbar an. „Was fühlten Sie, Frau Magotti, gegenüber Ihrem Mann, nachdem er Ihnen den Mord an Manfreds Vater gestanden hatte?“
Embrina Magotti musste sich sammeln und Ilona glaubte auf der Stelle zu wissen warum: Klaus Wilkens hat als Gestapo-Chef nicht nur Manfreds Vater eigenhändig umgebracht!
„Ich denke“, begann Embrina Magotti endlich, „Ihr Mann hat Ihnen alles von unserem Gespräch erzählt. Die letzte viertel Stunde hatte ich mich mit ihm über nichts anderes unterhalten als über meine Reaktion auf Klaus‘ Geständnis... Aber gut.“ Ilona hörte Embrina Magotti tief durchatmen. „An meinem Liebesgefühl konnten seine Verbrechen nichts ändern. Und das zeigte ich meinem Mann auch.“
„Manfred meinte, darüber haben Sie gar nicht geredet.“
„Wie bitte? Vielleicht ist ja eine mögliche Nebenwirkung seiner Krankheit ein schlechtes Gedächtnis... Ich weiß noch, wie hellhörig er wurde, als ich sagte, dass mein Mann ohne Erleichterung seines Gewissens keines ruhigen Todes gestorben wäre. Danach ging es richtig los mit dem Thema. Er fragte gefühlt achtmal nach.“
„Wonach?“
„Er wollte genau wissen, ob und inwiefern es meinem Mann besser ging, nachdem er geredet hatte.“
„Und? Ich vermute, es ging ihm besser.“
„Ein professioneller Sterbehelfer hätte trocken festgestellt, dass mein Mann danach seinen Tod akzeptieren und das Leben loslassen konnte.“
Ilona zögerte. Eigentlich war jetzt alles klar, aber irgendetwas trieb sie, das Thema noch nicht ruhen lassen zu können. „Danach fragte Manfred Sie dann also gefühlte acht Mal, sagten Sie.“
„Ja-a“, schallte es nun langgezogen, „so ähnlich wie Sie jetzt blieb er immer an der Sache kleben... Aber wenn einen was beschäftigt, dann ist das so.“
Embrina Magottis Ungeduld trieb Ilona, sich zu erklären. „Frau Magotti, Manfred hat in seinem Leben ein paar Sachen gemacht, die mir zu denken gaben. Und einmal, als er einen anderen Menschen erpresste und
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