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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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Bezeichnung „Spurensuche“. Weder verfügte er über die technischen Möglichkeiten der Kriminalpolizei noch wusste er genau, wonach er eigentlich suchte. Zerschlissene Bänke und Stühle standen überall herum, ebenso eine Vielzahl von mannshohen Schränken. Warum bewahren die eigentlich diese alten Möbel auf, fragte sich Manfred. Will dieser manische Schulleiter die wirklich nochmal irgendwo aufstellen? Oder treibt ihn die Hoffnung, hier mal aus eigener Kraft ein Museum einzurichten, um anschließend vom Bürgermeister gelobt zu werden? Besser wäre es doch, das Inventar zu entsorgen – irgendeine billige ABM-Kraft wird vom Arbeitsamt dafür schon genehmigt werden. Aber als Berater des Schulamtes bin ich nicht hier, korrigierte Manfred seinen Ehrgeiz, als Modernisierer wirken zu wollen. So öffnete er Raum für Raum alle Schränke, sah unter und neben die gestapelten Schulbänke. So systematisch wie möglich suchte er jeden Quadratmeter des Kellers ab. Eine Taschenlampe half bei der Beleuchtung beschatteter Ecken, was zur Entdeckung allerhand Ungeziefers führte, an denen Manfreds Blick in einer Mischung aus Ekel und Faszination längere Zeit hängen blieb. Mehrmals stieß er sich bei seinem Rundgang im Halbdunkel an dem kreuz und quer abgestellten Mobiliar. Als es einmal den Musikantenknochen seines Ellenbogens traf, schrie er laut „Mist“ und in der Tat, alsbald sah er auf dem Boden des letzten Raumes etwas, was genau das darstellte: Eine Katze oder ein Hund, so schaute Manfred genauer hin, hereingekommen durch eine der offenstehenden Fensterluken, hatte vor kurzem ihr Geschäft erledigt. Wenn das als Zeichen der Verachtung gemeint war, finde ich das gut, dachte Manfred.
    Das Auffälligste schien damit von Manfred schon gesehen worden zu sein, er entdeckte noch einen Haufen alter Büromöbel, möglicherweise diejenigen, die der Gestapo gedient hatten. Manfred drehte sich eine Zigarette, ließ seine Gedanken um das kreisen, was sich hier unten in den letzten Monaten des Krieges wohl abgespielt haben mag. Wie haben die hier eigentlich ihre Notdurft verrichtet, fragte er sich. Von einer Toilette sah er nichts, ein Waschbecken zeigte lediglich, dass es einen Wasseranschluss gegeben haben muss. Taten sie es vielleicht der Katze gleich? Oder benutzte man dafür etwa die Einrichtungen der Schule? Dann hätte das zu einem häufigen Kontakt geführt, der einmal mehr erklärt, warum Gestapo und Schulpersonal sich in die Quere kamen. Wie oft waren von hier unten wohl Schreie zu hören? Fünf, sechs Monate hatte die Gestapo Zeit zum Wüten, höchstens, eher weniger. Die Stadt war im April 1945 von den Alliierten eingenommen worden, seit Februar 45 befanden sich die Nazi-Strukturen in der Auflösung. Manfred erinnerte sich an die Worte von Adolf Wegemann, dass die Keller-Gestapo irgendwann einfach weg war, von einem Tag auf den anderen, fluchtartig, so ganz ohne Tschüss zu sagen und ohne Spuren zu hinterlassen. Junge Männer auf der Flucht vor den Kriegsgegnern – und vor sich selbst –, wie Manfred mutmaßte; der ein oder andere wird geahnt haben, was ihm an Ekel vor sich selbst infolge der durchgeführten Schandtaten noch einmal bevorsteht. Die Folterungen der Gestapo waren in der Literatur, die Manfred gelesen hatte, genau beschrieben, sie unterschieden sich qualitativ nicht großartig von dem, zu was die Kirche zur Zeit der Inquisition fähig war, verglich Manfred die Verbrechen. Da war alles dabei, naja, fast alles, korrigierte sich Manfred. Ihre Opfer gekocht oder ihnen Pflöcke unter die Nägel getrieben haben die Nazis hier in diesem Keller wohl nicht, aber deswegen die hier angewandten Methoden als eine Art zivilisatorischen Fortschritt zu deuten, wäre wohl doch arg unpassend. Eher wird es die Folge von Ressourcenmangel und zweifelhafter zeitsparender Errungenschaften moderner Unterdrückungsmethoden gewesen sein, dass die Gestapo sich anderer Folterinstrumente als die Kirche zu bedienen wusste. Immer wird es darum gegangen sein aus den Gefangenen die Namen anderer Widerständler herauszupressen, mit denen die Verhörten nach Vermutung der Gestapo in Kontakt standen. Um das Herauspressen von Geständnissen, wie den Kirchenleuten früher, ging es den Nazis eher nicht, für solche Feinheiten hatten sie keine Zeit, wusste Manfred. Festbinden, Tritte in die Genitalien, Finger brechen, Zigaretten auf der Haut ausdrücken, Ohren abschneiden – möglicherweise tat man das in einer ganz bestimmten Reihenfolge,

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