Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
und das alles ziemlich schnell –, denn, wie schon gedacht, dachte Manfred, viel Zeit hatte man nicht mehr, andere sollten schließlich auch noch gequält werden. Meldeten sich sadistische Triebe bei einigen der hier arbeitenden deutschen Staatspolizisten, wird man vielleicht russisches Roulette gespielt haben; eventuell hat sich dabei der ein oder andere mal kurz in einen anderen Raum verzogen, um sich auf die Schnelle einen runterzuholen, zog Manfred in Betracht. Wenn man es überhaupt für nötig hielt, deswegen den Raum zu wechseln. „Nichts ist unmöglich, Toyota“, dachte Manfred dann auch noch – fast zeitgleich gingen ihm seine Gedanken durch den Kopf, die Abscheulichkeiten und der neue Werbespruch einer Autofirma trafen sich für Manfred nicht zufällig – zu viel Adorno hatte er gelesen –, er ahnte einen tieferen Zusammenhang, ihm wurde schlecht.
Und mit dem Unwohlsein wollte es bei ihm dann noch längere Zeit nicht vorbei sein. Der Hass auf die Verdrängung der braunen deutschen Geschichte, der Hass auf die vielen Nationalsozialisten, die es in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur zu überdurchschnittlichem Wohlstand, sondern darüber hinaus auch zu Ruhm und Ehre gebracht haben, dieser Hass, der vor kurzem sogar dazu beigetragen hatte, einen Arbeitgeberpräsidenten mit nationalsozialistischer Vita zu entführen, dieser unsägliche Hass, der war für Manfred nun nicht nur nachvollziehbar, sondern er war gerade selbst ein Teil davon. Manfred wurde schwindelig. Er setzte sich auf einen Stuhl, endlich steckte er sich die Zigarette an. „Beende das hier“, forderte er sich auf.
Und so, die Zigarette fast aufessend, stand er auf von seinem Stuhl und ging matten Schrittes Richtung Ausgang. Jeder Raum musste dabei noch aufgesucht werden, denn das Licht hatte er, um sich sicherer zu fühlen, überall angelassen. Er warf noch einen kurzen Blick auf die ahnungslosen Schulbänke und Stühle, dann wollte er nur noch raus. Aber halt, was war das? Im Schein einer Glühbirne sah Manfred unter einem Tisch einen Stein, der aus dem unverputzten Mauerwerk herausragte. Nicht viel, aber immerhin so viel, dass er seine Aufmerksamkeit erregte. Das wäre doch was, dachte Manfred, ein Gedanken, mit dem er recht behalten sollte. Denn in der Tat war da was.
Manfred trat den Tisch zur Seite. Warum geht der eigentlich nicht kaputt, alles hier hätte es verdient kaputtzugehen, fragte er sich noch, als er sich an dem Gemäuer runter beugte. Der Stein war hartnäckig, aber Manfred hatte vor, das auch zu sein. Alsbald umfasste er mit allen Fingern seiner beiden Hände die Ränder des Steins und zog mit aller Kraft. „Gleich habe ich dich“, hörte er sich sagen. Er wollte den Satz gerade, diesmal lauter, wiederholen, da lag er schon auf dem Rücken, den Stein in beiden Händen. Noch im Liegen holte er seine Taschenlampe hervor, leuchtete unversehens in den Hohlraum und sah eine unschuldig daher blickende Pappschachtel. „Sechs mal drei mal zwei, vielleicht auch zwei Komma eins“, sprach Manfred und meinte die Außenmaße der Schachtel. „Von Zentimetern spreche ich natürlich“, sich bewusst darüber, dass sein Reden mit Niemanden ihm Halt verschaffte in seiner Anspannung. Ein Polizist würde jetzt darauf bestehen, nichts anzufassen. Aber warum, fragte sich Manfred, sollte mich eine solche Vorgabe interessieren, angesichts dessen, dass es hier keine Polizisten gab und vor allem angesichts dessen, dass in dem Wissen um die Gewohnheiten der hier aktiven Gendarmen vor 34 Jahren ein Polizist eigentlich überhaupt kein Recht mehr haben kann, noch irgendeine Autorität zu beanspruchen – Manfred nahm die Schachtel, grüßte dabei die Spinne, die den Deckel schmückte, mit einem respektvollen „Keiner war hier so harmlos wie du“ – bevor er sie sacht zur Seite pustete – und zog den Deckel ab.
Irre, dachte er. Eine Beobachtung, fiel ihm sogleich ein, die in diesen Räumlichkeiten aber nun wirklich keinen Anspruch auf Exklusivität haben kann. Er wollte es schon genauer zu fassen verstehen, was er dort sah. Ringe. Jawohl, ganz eindeutig Ringe. Manfred hatte in seinem Leben schon länger über die Charakterisierung von Gegenständen rätseln müssen als in diesem Moment, es konnte keinen Zweifel geben: Goldene Ringe, die man an den Finger steckt, wenn man glaubt sich verloben, oder gar, Schreck lass nach, dachte Manfred, sich verheiraten zu müssen. Manfred zählte, es waren zehn. An der Innenseite waren Namen
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