Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Gesetzeshüter einen Molotow-Cocktail finden, untergebracht von einem Spitzel des Bundesgrenzschutzes. Das wird dann der Anlass für eine großflächige Räumung des Areals sein. Man würde sich dann im gewaltfreien Widerstand üben, auch darüber herrschte Einigkeit, das hieß, man würde sich, eng aneinander sitzend, von Polizisten wegtragen lassen. Manfred schwieg darüber, dass er die Ansicht nicht teilte, dass sich die Gesetzeshüter dabei zurückhaltend zeigen würden, denn er traute schon seit einiger Zeit keinem staatlichen Gewaltmonopol mehr über den Weg. Auch keinem demokratisch legitimierten.
Zu sehr wollte sich Manfred mit diesen und anderen, an den Sorgen der Welt orientierten Fragen aber gar nicht beschäftigen, denn seine Bedürfnisse hatten sich längst darauf ausgerichtet, die noch bleibende Zeit der Zweisamkeit mit Ilona genießen zu wollen. Nach der Einnahme einer Erbsensuppe als Mittagsmahl und einem einstündigen seligen Verweilen in der warmen Sonne stellte sich die Aufgabe, die anvisierte Autofahrt erfolgreich zu bewerkstelligen. Die Hupe funktionierte auf jeden Fall, wie sich gleich am Beginn der Rückfahrt herausstellte, als sie von Manfred zwecks Begrüßung eines polizeilichen Großraumwagens benutzt wurde.
Die von Ilona für die 500 Kilometer lange Strecke nach Bonn vorhergesagte Reisedauer von sechs Stunden beruhte auf der Annahme halbwegs freier Straßen, eines beschleunigungsfähigen Autos mit einem ebenso beschleunigungswilligen Fahrer sowie pausenresistenter Fahrzeuginsassen. All diese Erwartungen erfüllten sich nicht.
Tausende von Auswärtigen besuchten an diesem arbeitsfreien Tag das Hüttendorf und ließen den Verkehr auf den umliegenden Straßen oftmals nur im Schneckentempo fließen. Trecker und Sonntagsfahrer erwiesen sich ebenso als Hindernis, denn der Kadett war der Notwendigkeit, angesichts eines spürbaren Gegenverkehrs Überholvorgänge mit hoher Motorkraft zu leisten, nicht in jeder Situation gewachsen, zumal sich Manfred und Ilona einig zeigten, nichts riskieren zu wollen. „Das lohnt sich nicht“, hatten sie fast zeitgleich kommentiert, als Manfred einmal einen bereits mehrfach angesetzten Versuch abbrach, einen Bus zu überholen. Ebenfalls ohne jede Differenz reagierten Fahrer und Beifahrerin auf die Hitze, die sich infolge eines zunehmend heißen Frühsommertages im Fahrzeuginnenraum entwickelte. „Das sollten wir uns nicht antun, bei solchen Temperaturen durchzufahren“, meinte Manfred. „Da hast du recht, das muss wirklich nicht sein“, untermauerte Ilona.
So konnte zwar in der Tat irgendwann eine Reisezeit von sechs Stunden als verstrichen registriert werden, zu einer Überbrückung von 500 Kilometern war es zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht gekommen. Man befand sich erst kurz hinter der Kleinstadt Gifhorn, gut 100 Kilometer vom Hüttendorf entfernt. „Stress sollten wir uns deswegen aber nicht machen“, meinte Ilona, Manfred anschauend, der sofort eifrig nickte und hinzufügte: „Für mich ist das sowieso kein Problem, ich kann das ab, nur wenig zu pennen.“ Ilona murmelte schnell hinterher: „Muss auch erst zur zweiten Stunde da sein.“ Nun drehten sie gleichzeitig ihren Kopf zum anderen und mussten etwas schmunzeln; es war inzwischen mehr als einmal klar geworden, dass es keiner von ihnen besonders eilig hat.
„Zwei Schulabschlüsse nachholen und ein Studium durchziehen; das ist schon eine tolle Leistung von dir“, nahm Ilona irgendwann das Gespräch wieder auf, um das es schon seit einiger Zeit gegangen war.
„Ja“, antwortete Manfred nur. Jetzt erwartete er das, was bei dem Thema immer gesagt wurde. Und genau so sollte es auch kommen.
„Aber gerade weil das so eine mühseliger Weg war, frage ich mich, warum du nicht versuchst irgendwo als Akademiker unterzukommen.“
„Wir haben seit fünf Jahren Massenarbeitslosigkeit.“
„Aber du bist mittlerweile hochqualifiziert.“
Manfred guckte spöttisch. „Was heißt eigentlich qualifiziert.“
Ilona musste nicht lange überlegen. „Qualifiziert heißt zum Beispiel, dass ...“
„Ich weiß, was du sagen willst. Und ganz bestimmt ist da auch was dran. Aber auffällig ist, dass viele sogenannte Qualifizierte persönlich zusammenbrechen würden, wenn sie sich mit Arbeitslosigkeit rumschlagen müssten oder den Arbeits- und Lebensverhältnissen ausgesetzt wären, die sie anderen ganz selbstverständlich zumuten. Die Leute mit wirklichen Selbstbewusstsein sind die, die ohne die Erfahrung
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