Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
zwar nicht von einem harten, aber so doch von einem fordernden Zungenschlag sprechen. Ja, eine solche Charakterisierung trifft es sehr gut, ließ Manfred sich diesmal denken. Nur, fiel Manfred dann auch noch ein, wenn die Zungen fordernd sind, dann stellt sich doch die Frage, was fordern sie eigentlich?
Und schon bald war sich Manfred einer Antwort ganz sicher geworden. Die Gefühle fordern, dass wir, dachte Manfred, schwieriger ist es nun doch nicht, irgendwann anfangen uns mit Überzeugung gegenseitig in die Hose zu gehen. Ist ja Platz genug dort, fand Manfred und dachte wohlig an Ilonas weibliches Becken. Bei diesen Gedanken musste Manfred grinsen, was zur Unterbrechung des Küssens führte.
„Du lachst über mich?“, zwinkerte Ilona.
„Nie, würde ich das wagen... Ich freue mich.“ Manfred wollte mutig zu einem Vorschlag ansetzen, da kam Ilona ihm zuvor.
„Wir mieten uns hier ein Zimmer und knutschen die ganze Nacht rum.“
„Jawohl.“
*
„Ich bin noch nie zu spät in die Schule gekommen.“
„Als Schülerin oder Lehrerin?“
„Beides.“ Ilona schaute wiederholt auf ihre Armbanduhr. Der Zeitanzeiger im Auto war außer Funktion.
Dreieinhalb Stunden müssten reichen für die Autobahnfahrt nach Bonn, hatte Manfred geschätzt, und so war er mit Ilona nach einer schlaflosen Nacht um halb sechs vom Gasthaus aufgebrochen. Nun blieben noch 30 Minuten Zeit für ein Dutzend Kilometer, wovon ein Großteil innerstädtisch zurückzulegen war.
„Das schaffen wir, Ilona“, beruhigte Manfred.
Nochmal schaute Ilona zur Uhr. „Ich sollte mich nicht so anstellen. Dann klappt halt‘ mal was nicht.“
„Und das Werner benachrichtigt wurde, hat geklappt?“
Ilona zögerte mit der Antwort. „Ich nehm‘ mir inzwischen einiges raus. Früher wäre das nicht möglich gewesen, dass ich allein ein paar Tage wegfahre.“
Wenn immer der Verkehr es erlaubte, hatte Manfred seine rechte Hand vom Steuer genommen und hielt sich an den Fingern von Ilona. Ilona spürte Manfreds heftigen Händedruck, als sie sagte: „Ich freue mich über die Tage. Und will jetzt kein Problem davon machen.“
„Unterschreibe ich beides.“
Angekommen auf dem Schulparkplatz, gaben sich die beiden einen Kuss, der wegen möglicher unerwünschter Blicke kurz ausfallen sollte, was aber unmöglich durchzuhalten war. Als Ilona ausstieg, fielen bei offener Autotür noch ein paar Worte ein.
„Ich ruf dich an.“
„Wann?“, wollte Manfred es genauer wissen.
Ilona überlegte. Da kam ein Schüler vorbei und drückte ihr ein Flugblatt in die Hand. Aus dem Augenwinkel versuchte sie die Überschrift zu erfassen. „Gorleben soll leben“, konnte sie erkennen. Jetzt war Ilona entschieden. „Fünf Minuten vor zwölf. Heute Nacht.“
Die Reifen quietschten, als Manfred los fuhr. Dem Flugblattverteiler zeigte er den erhobenen Daumen.
*
„Du bist unpünktlich“, meldete sich Manfred schelmisch, als er eine Minute nach Mitternacht den Telefonhörer von der Gabel nahm.
Ilona lachte. „Und immer noch nicht müde.“
„Wir haben uns halt‘ aufgeregt“, schwelgte Manfred. „Und das steckt so dermaßen in unseren Köpfen, dass die müden Knochen von unserer Schaltzentrale einfach überhört werden.“
„Ja, aber jetzt muss ich bald schlafen, sonst halte ich morgen nicht mehr durch.“ Die Bemerkung passte eigentlich nicht so ganz, hätte Manfred finden können, aber er hatte zu diesem Zeitpunkt, kurz nach zwei glücklichen Tagen, überhaupt keine Lust, überhaupt irgendwas zu finden. Erst als Ilona nach fünfzehn Minuten, nachdem sie von ihrem Tag erzählt hatte, den Wunsch auf eine gute Nacht aussprach, kam ihm Ilonas Äußerung noch einmal in den Sinn. „Bloß keine negativen Gedanken, das würde zu mir passen“, sprach Manfred zu sich selbst, nachdem das Telefongespräch beendet war. So richtig gut schlafen konnte er aber nicht.
*
„Nein, nein, Werner ist ja noch auf der Arbeit. Das ist nicht das Problem.“
„Was ist dann das Problem? Du erzählst von deiner Schule und ich von meiner Arbeit, beides Themen, die mich überhaupt nicht interessieren.“ Manfred war sauer.
„Ich...“, setzte Ilona an.
„...bin noch nicht fertig“, unterbrach Manfred. Einmal angefangen, gedachte er einiges los zu werden. „Gorleben ist jetzt drei Wochen her und ich habe dich noch nicht wiedergesehen, Ilona. Das entspricht nicht dem, was ich empfunden habe. Und es entspricht auch nicht dem, was du empfunden hast. Was
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