Wo die coolen Kerle wohnen
von Testosteron tendenziell »weiblicher« und Frauen durch den Rückgang von Östrogen tendenziell »männlicher« werden. In den psychischen und körperlichen Auswirkungen dieser Veränderungen liegt ein enormes Konfliktpotenzial für die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Und ein enormes Entwicklungspotenzial.
Für uns Frauen in der freundlich forschenden Beobachterposi tion ist es aber zunächst einmal wichtig zu wissen, dass psychische und physische Irritationen und ein objektiv wahrnehmbarer Leistungsabfall der Männer über 40 nichts mit Charakterschwäche, Launenhaftigkeit oder gar persönlichem Versagen zu tun haben müssen. Vielmehr kann es dafür handfeste biologische und ebensolche psychosozialen Gründe geben.
Wenn man dies akzeptiert, kann es einen dahin bringen, zu verstehen, dass die männlichen »Wechseljahre« einen im Lebenslauf angelegten Sinn haben. Wie die weiblichen.
Dass Männer die Symptome ungern akzeptieren und wahrscheinlich schon im antiken Rom mit ihren anni climacterici gehadert haben; dass sie ihre Sorgen, ihr Unbehagen und ihr Leid gern loswerden würden, versteht sich von selbst. In den letzten Jahren sind die gesellschaftlichen Erwartungen an Männer ab der Lebensmitte auch noch extrem gestiegen, und gleichzeitig werden die Ängste vor dem Altern, vor dem Schwinden von Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Potenz ganz gezielt geschürt.
Der Medizinhistoriker Hans-Georg Hofer stellt dazu fest: »Die erneute Aufmerksamkeit, die das Thema der männlichen Wechseljahre seit einigen Jahren erfährt, ist ohne Einflussnahme der Pharmaindustrie kaum denkbar. Hier ist ein klares marktstrategisches Kalkül erkennbar, das sich an die Adresse der Männer zwischen 40 und 60 Jahren als finanzkräftige Gesundheitskunden richtet.«
Die Milliarden, die bereits mit dem gesundheitlich nicht unbedenklichen Erektionshelfer Viagra umgesetzt wurden, haben bewiesen, wie leicht die von der Werbung und den Medien künstlich aufgebauschten und dramatisierten Schwächen der Midlife-Männer in bare Münze verwandelt werden können. Der neue Markt, der seit einigen Jahren aufgeheizt wird, heißt nun: Hormonersatztherapie. Testosteron-Präparate für den schwächelnden Mann. Als Anti-Aging-Therapie.
Und die Hormonhersteller versuchen, auch uns Frauen vor ihren Karren zu spannen. Da schiebt sich beispielsweise auf meinem Computerbildschirm ungefragt ein Banner vor die Nachricht, die ich gerade lesen möchte: Eine bezaubernde junge Frau räkelt sich erwartungsvoll lächelnd in ihren Kissen, und schon flackert ein Textkasten Alarm! »Jeder fünfte Mann über 40 leidet unter Erektionsproblemen. Eine große Belastung für jede Beziehung. Dabei kann ein Besuch beim Arzt helfen. Sprechen Sie mit Ihrem Mann.«
Wir sollen also unsere Männer anschubsen, damit sie für teures Geld hochwirksame Substanzen einwerfen, um wieder verlässlich zu funktionieren und uns wie als junge Burschen potent zur Verfügung zu stehen.
Es steht außer Frage, dass echte Hormonmangelerkrankungen – ob bei Männern oder Frauen – medizinisch behandelt werden müssen. Dass aber Hormone, die bekanntlich schon in kleinster Dosis in das hochkomplexe Wechselspiel zwischen Körper, Gemütsverfassung und geistigem Vermögen eingreifen, als Lifestyle-Artikel eingesetzt werden, halten verantwortungsbewusste Ärzte und Ärztinnen für gefährlich. Zumal Testosteron – nach letzten Studien – zwar keinen Prostatakrebs auslöst, das Wachstum von bereits vorhandenen Tumoren aber fördert.
Man würde die Männer im Übrigen in dieselbe Ecke drängen, in die man uns Frauen jahrzehntelang geschoben hat: Die weiblichen Wechseljahre galten als Östrogen-Mangel-Krankheit, die sich mit einer Hormonersatztherapie behandeln ließ. »Östrogen macht Frauen schön«, lautete ein Slogan von den 70ern bis zur Jahrtausendwende. Das weibliche Hormon, dessen Produktion im Klimakterium über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren hinweg immer weiter heruntergefahren wird, galt als Jungbrunnen. Millionen Frauen schluckten Östrogene, um Alterserscheinungen wie trockener Haut, aber auch Stimmungsschwankungen vorzubeugen. Im Mai 2002 brach die »Women’s Health Initiative« ihre Langzeituntersuchung zu dieser Hormonersatztherapie vorzeitig ab: Unter der Östrogen-Therapie waren signifikant mehr Brustkrebs und Thrombosen, Herzinfarkte und Schlaganfälle aufgetreten. Die Vorteile der Hormongabe erwiesen sich als den Nachteilen weit unterlegen.
»Seitdem ist die
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