Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht
damals ’atte ich wenig Geld und keine Freunde. Schlafen war gut.«
Fifi stand auf und benutzte den Eimer, während Yvette sich taktvoll abwandte.
»Warum sind Sie nach England gekommen?«, fragte Fifi, nachdem sie einen Schluck Wasser getrunken hatte. »Haben Sie keine Familie in Frankreich?«
»Meine Mutter ist im Krieg gestorben«, antwortete Yvette. »Ich wollte alle traurigen Erinnerungen ’inter mir lassen.«
Ihr energischer Tonfall ließ darauf schließen, dass sie nicht darüber reden wollte, daher nahm Fifi ihren Kamm aus ihrer Handtasche und kämmte sich das Haar.
»Sie ’aben so schönes ’aar«, bemerkte Yvette und setzte sich neben Fifi auf die Matratze. »Ich ’abe mir immer gewünscht, ich wäre blond. Als die Deutschen nach Paris kamen, ’aben manche Mütter ihren Töchtern das dunkle ’aar gebleicht.«
»Warum?«, fragte Fifi.
»Um nicht als Jude erkannt zu werden«, erwiderte Yvette und verzog das Gesicht. »Es ’at nicht besonders gut funktioniert, viele von ihnen ’atten am Ende orangefarbenes ’aar.«
Plötzlich erinnerte Fifi sich an ein Ereignis in ihrer Kindheit, als sie etwa sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein musste. Eines Morgens hatte sie ihre Mutter weinen hören und war nach unten gegangen. Ihre Eltern waren in der Küche gewesen, und ihr Vater hatte ihre schluchzende Mutter im Arm gehalten.
»Du hättest dir den Film nicht ansehen sollen«, hatte ihr Vater gesagt. »Ich habe dich gewarnt, dass es zu schrecklich sein würde.«
Fifi hatte immer gern im Flur herumgelungert, während die Erwachsenen sich unterhielten. Ihre Eltern waren deswegen oft sehr wütend auf sie gewesen. Aber dennoch hatte sie der Versuchung oft einfach nicht widerstehen können. Doch an jenem Abend war sie hastig zurück in ihr Zimmer gerannt, denn was sie gesehen und gehört hatte, hatte ihr Angst eingejagt.
Ihre Mutter und deren Schwestern waren an diesem Tag wie jede Woche ein Mal ins Kino gegangen. Bisher war Clara anschließend immer besonders fröhlich gewesen.
Doch am nächsten Morgen hatte sie noch immer rote, verschwollene Augen vom Weinen, und Fifi fragte sie nach dem Grund.
»Weil ich einen ganz furchtbaren Film gesehen habe«, hatte sie erklärt.
Ein Ausflug ins Kino war für Fifi immer etwas Besonderes gewesen. Sie hatte Schneeweißchen, Dumbo und Bambi gesehen, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Film etwas anderes sein konnte als ein wunderbares Erlebnis.
»War es ein trauriger Film wie Bambi, als seine Mummy starb?«
»Es war viel, viel schlimmer. In diesem Film geht es um einen bösen Mann, der tausende von Mummys, Daddys und kleinen Kindern getötet hat.« Die Augen ihrer Mutter füllten sich abermals mit Tränen.
»Warum hat er sie getötet?«
»Nur weil sie Juden waren.«
Fifi hatte damals keine Ahnung gehabt, was Juden waren, und es vergingen noch Jahre, bevor sie in der Schule den Holocaust durchnahm. Erst da wurde ihr klar, dass ihre Mutter an jenem Abend vor so vielen Jahren so außer sich gewesen war, weil sie den Film gesehen hatte, der zu der Zeit entstanden war, als britische und amerikanische Truppen die deutschen Konzentrationslager befreit hatten.
Fifi entwickelte eine Faszination, was das ganze Thema betraf. Sie ging häufig in die Bibliothek und suchte nach Büchern darüber. Aber wann immer sie zu Hause danach fragte, bekam sie dieselbe Antwort. »Das liegt alles Jahre zurück. Man sollte es inzwischen eigentlich vergessen haben.«
Es hatte sie stets verwirrt, dass freundliche, anständige Leute wie ihre Eltern etwas so Schreckliches wie die Ermordung von sechs Millionen Menschen einfach beiseiteschieben konnten. Sie hatte wissen wollen, warum anscheinend niemand etwas von diesen Dingen geahnt und wie die Menschen reagiert hatten, als sie es schließlich erfahren hatten. Ob sie etwas dagegen hatten unternehmen wollen oder ob sie einfach zu entsetzt und hilflos gewesen waren. Außerdem wollte sie wissen, was aus den überlebenden Juden geworden war und ob sie jemals vergeben oder vergessen konnten.
Während der letzten acht oder neun Jahre hatte sie kaum einmal darüber nachgedacht, aber etwas in Yvettes Verhalten weckte in ihr die Vermutung, dass die Französin Jüdin war, und dieser Umstand brachte all die Fragen zurück, auf die sie niemals eine befriedigende Antwort gefunden hatte.
Jetzt drehte sie sich zu ihrer Freundin um; sie musste diese Frage einfach stellen. »Sind Sie Jüdin, Yvette?«
Die Französin stieß einen tiefen
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