Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht
unsere Situation doch verdammt noch mal nicht werden«, fauchte Fifi sie an. »Ich halte es einfach nicht mehr aus.«
Yvette stand auf, legte die Arme um Fifi und hielt sie fest. »Scht«, sagte sie besänftigend. »Durch Schreien und Schimpfen wird es auch nicht besser.«
Fifi brach in Tränen aus, und Yvette drückte sie sanft auf die Matratze, hüllte sie in die Decke, als wäre sie ein kleines Kind, und zog sie zärtlich an sich.
»Wie können Sie nur so ruhig sein?«, fragte Fifi nach einer Weile, als ihr Schluchzen abgeklungen war. »Haben Sie denn keine Angst?«
»Doch, ich ’abe Angst«, gab Yvette zu. »Und ich ’abe genauso viel ’unger wie Sie. Aber ich ’abe im Leben schon sehr oft ’unger und Angst ge’abt, und vielleicht ist das der Grund, warum ich jetzt so ru’ig wirke.«
»Als Sie nach England gekommen sind?«
»Nein, das Einzige, woran ich mich aus dieser Zeit erinnere, ist die Kälte, nicht Angst oder ’unger. Aber in Paris ’atte ich große Angst, denn jeden Tag kamen Deutsche und trieben Juden zusammen, um sie fortzubringen. Wir wussten damals nicht, wo’in sie gebracht wurden, doch wir wussten, dass es nicht gut war. Manchmal ’atten meine Mama und ich über’aupt nichts zu essen, denn wer braucht schon eine Schneiderin, wenn sein Land in den ’änden des Feindes ist?«
»Haben die Nazis Sie damals erwischt?«, wollte Fifi schniefend wissen.
»Nein, denn Mama ’at mich vor’er weggeschickt. Sie konnte nicht mitkommen. Sie musste das Wenige, das wir ’atten, verkaufen, um für mich bezahlen zu können. Sie ’at gesagt, dass sie mich nach Ende des Krieges sofort ’olen kommen würde.«
»Und ist sie gekommen?«
Yvette schüttelte den Kopf. »Die Nazis ’aben sie geholt, und sie ist auf der Zugfahrt nach Polen gestorben. Man sagt, es seien so viele Menschen in jedem Wagon gewesen, dass etliche von ihnen keine Luft bekamen. Außerdem war es bitterkalt, und sie ’atten nichts zu essen oder zu trinken.«
Wegen ihrer gegenwärtigen Situation konnte Fifi tatsächlich ein wenig nachfühlen, wie es für Yvettes Mutter gewesen sein musste. Vielleicht hätte sie früher die grausame Brutalität dieses Schicksals nicht erfasst. Bloße Worte genügten nicht, um ihr Entsetzen und ihren Abscheu darüber zum Ausdruck zu bringen, dass Menschen anderen etwas Derartiges antun konnten oder wie furchtbar es für Yvette gewesen sein musste herauszufinden, auf welche Art ihre Mutter gestorben war. Es war inzwischen dunkel, und Fifi konnte das Gesicht der Französin nicht mehr erkennen, aber sie wusste, dass sie weinte. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist einfach zu furchtbar.«
»Vielleicht war es besser, dass sie dort gestorben ist, bevor sie in das Lager kam«, meinte Yvette mit erstickter Stimme. »Sie war zumindest unter Menschen, die sie kannte … Ich bleibe in Frankreich, bis der Krieg vorüber ist, und warte auf eine Nachricht, und als das Rote Kreuz ihren Namen auf einer Liste findet, komme ich ’ier’er.«
Fifi musste an ihre eigene Mutter denken. Sie sah sie vor sich, wie sie vor dem Kindergarten auf sie wartete, mit Patty im Kinderwagen und Peter und Robin, die auf den Stangen saßen. Ihre Mutter hatte jedes Mal die Arme ausgebreitet, um Fifi zu empfangen, und sie hatte sie hochgehoben und geküsst. Wie eigenartig, dass ihr gerade jetzt ein so schönes Bild in den Sinn kam, während sie in der Vergangenheit immer nur an Schmähungen, Streit und all die negativen Dinge gedacht hatte! Noch vor wenigen Tagen hatte sie ihre Familie für all ihr Unglück verantwortlich gemacht, und jetzt schämte sie sich dafür. Wenn sie jemals hier herauskommen sollte, beschloss sie, würde sie ganz bewusst versuchen, nur die schönen Dinge in ihrem Leben zu sehen und den Rest zu vergessen.
Sie schwieg für eine Weile, hielt Yvette in den Armen und hoffte, dass die Wärme ihres Körpers der anderen Frau ein wenig Trost schenkte. Aber es gingen ihr immer neue Fragen durch den Kopf; es gab so vieles, was sie noch über ihre Freundin in Erfahrung bringen musste.
»Wie war das Leben denn während der Kriegsjahre für Sie? Sie müssen doch damals noch ein junges Mädchen gewesen sein?«, fragte sie schließlich.
»Ich war bei Kriegsende achtzehn«, antwortete Yvette mit brüchiger Stimme. »Aber ich war kein junges Mädchen mehr. Ich denke, es wäre besser für mich gewesen, mit Mama in dem Zug zu sterben.«
»Warum? Waren die Menschen, zu denen
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