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Wo die letzten Menschen hausen

Wo die letzten Menschen hausen

Titel: Wo die letzten Menschen hausen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Chilson
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bevor es sich drehen konnte, trennte ein Dunlin seine Kufenstrebe backbords achtern ab.
    Die Steuerbordschere eines Drachodens stieß gegen einen Felsen und wurde abgerissen; einen Augenblick lang glaubten alle, es würde umstürzen, aber die peitschenden Masten beruhigten sich, und alle sechs Kufen kehrten auf den Boden zurück. Und nun waren die Dunlins zwischen den Jondrovern, Pfeile zischten hin und her, Steinhagel überschüttete alles.
    »Raubvogel« jagte im Wuttaumel einem flüchtenden Schlangenschiff nach und stieß den Doppelrammsporn in den Kastenrumpf. Der Anprall war leicht, das Sandschiff war etwa mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs. Dann drückte das Gewicht des Drachodens das kleine Schiff an einen Felsen. Es platzte wie ein geschleudertes Ei. »Raubvogel« krängte, vom Bug erfaßt, dann riß sich der Rammsporn los.
    Danach waren sie nicht länger Dunlin und Jondrover, bittere Rivalen und verhaßte Feinde, sondern verzweifelte Männer in zerbrechlichen Körben, kreischend zwischen zusammengedrängten Felsen, die Zähnen glichen – dahinter das klaffende Maul des Dunkelberges. Entlang am ganzen Kergan-Kessel flitzten die klatschenden Dreiecksegel, dazwischen huschte hier und dort ein höheres Quadratsegel zwischen hohen grauen Felsen umher. Schiffe hüpften, wenn sie auf niedrige Felsen gerieten, auf ihren Federn schwankend; Schiffe prallten mit anderen zusammen und von ihnen ab, mit dem Krachen von Hörnern in einer großen Herde; Schiffe knallten mit einem unbeschreiblich hohlen, splitternden Geräusch an Felsen. Anker fetzten durch das dünnere Salz mit einem Laut, als zerreiße man Laken; Salzstaubwolken stiegen auf und trieben den Abgrund hinunter.
    Ein Drachoden kippte über den Rand, krängte weit über, versuchte unter dem Schreien der Besatzung verzweifelt zu drehen; einen Augenblick sah man Männer von der Reling springen – dann packte der Wind die Segel, und im nächsten Moment war das Schiff verschwunden.
    »Raubvogel« hatte zuviel Gewicht und Schwung. Trebor glaubte, sie würden nie zum Stillstand kommen, und er blickte verzweifelt auf die Anker, die das Salz zerrissen. Er hoffte, daß sie greifen würden, und wenn es das Schiff auseinanderfetzte. Endlich wurde das Schiff langsamer, die Segel knatterten wie Peitschen. Der Mann am Ruder drehte verzweifelt das Rad, die Bugkufen nach links, die Achterkufen nach rechts. »Raubvogel« legte sich weit auf die Seite, und Trebor schloß die Augen, sah noch einmal, wie die Segel des anderen Drachodens ruckartig verschwunden waren, die Unterseite, die Kufen für einen Augenblick vor dem Himmel – dann nichts als die Männer in der Luft.
    Er wurde mit Wucht an die Reling geworfen, ein Dunlin auf ihn geschleudert; es preßte ihm den Atem aus dem Leib. Die Welt schwankte, dann kam sie ins Gleichgewicht, und »Raubvogel« stand. Ich weihe Anda vierzig Blumen, war Trebors erster Gedanke, als er zu dem goldgestreiften, blutroten Segel hinaufblickte, das wie Wäsche an der Leine flatterte.
    »Hol mich der und jener«, tönte Doroteo Arangos Stimme völ lig fassungslos von achtern her, »wir leben noch!«
    Trebor schaute über die Reling. Die Heckkufen ragten ein wenig über den Rand des Abgrunds hinaus. Kergans Kessel dräute einige hundert Meter tief; darunter begann ein flacherer Hang.
    Nicht ganz eine Meile unter ihnen lag die stumpfe Oberfläche des Dunkelsees in sonnenloser Finsternis.

 

    3
     
Eine tödliche Krankheit
     
    »Raubvogel« lag vor Anker, die Segel gerefft, denn der Wind war stark. Die Nacht kam langsam aus dem Osten heran. Im Westen erhob sich ein Grat, dahinter ein noch höherer, scharf vor dem Himmel abgezeichnet: die Steilhänge des Dunkelberges. Kergans Kessel lag zweihundert Meilen südlich. Sie befanden sich in der Nähe des oberen Endes des tausend Meilen langen Dunkelberges, einer meilenbreiten Wunde quer durch Iréné.
    Trebor keuchte einen von grobem, gelben Gras spärlich bewachsenen Hang hinauf. Der Boden war hier mehr Sand als Salz. Oben schaute er in ein kleines Tal hinunter, das vielleicht eine Viertelmeile breit und hundert Fuß tief war. Die Länge mochte eine Meile betragen.
    »Das ist die Zeitschlucht«, sagte Doroteo Arango, halb voll Stolz. »Wo die Echos von Lauten hallen, die noch nicht gehört oder erzeugt sind. So heißt es.«
    Trebor hatte von dem Ort gehört; die Mystiker und Komödianten, die zusammengeströmt waren, um seinen Vater auszunehmen, hatten bei Gelegenheit davon gesprochen. Er

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