Wo die letzten Menschen hausen
Aeroben wieder zum Wand-Land.
Trebor wurde geweckt, als das Schiff wieder hinabfegte, aber inzwischen war der Silbermond untergegangen. Der Morgen fand sie über dem Zittersumpf.
Vor Angst und Ehrfurcht konnten sie kaum essen. Man erzählte gewaltige und grauenhafte Geschichten vom Zittersumpf. Düstere, dunkelgrüne Bäume reihten sich an drei Seiten bis zum Horizont, dazwischen sah man hier und dort das Schimmern von Korallen. Krächzende Laute stiegen herauf und ließen sie frösteln. Der scharfe Geruch des Salzsumpfes stieg auf, stärker und schwerer als der Geruch des Rhodomontasonn-Sumpfes, stinkend nach Angst.
Stehende Wasserläufe wanden sich wie Schlangen zwischen den bärtigen Bäumen, und Wasserpfützen klafften herauf wie wartende Mäuler.
Zu ihrer Linken, im Süden, standen die hohen, nackten Hügel des Fernen Fahrlandes, in der Muttersprache von Romplannan Incavvalonne geheißen. Sie befanden sich also am Südrand des Sumpfes, nicht weit von Irenaica. Das Ferne Fahrland war eine Wüste aus windgeschliffenem Gestein und hageren Hügeln, mit hier und dort einem grünen Tal, wo Schäfer ein paar Schischafe weideten. Nicht einmal das Erste Reich hatte dort gebaut, aber es gab Ruinen aus der Zeit vor dem Ersten Reich und einige Überbleibsel von Aufbruch-Städten.
Die größte befand sich am Nordende des Plateaus von Incavallonne. Sie hieß Reyana Réné, die Königin-Stadt von Iréné, im Ersten Reich. Jetzt trug sie den Namen Ireniana. Die Menschen des modernen Irenaica behaupteten gern lückenlose Abstammung vom Aufbruch, weil ihre Ahnen, wie sie sagten, unter oder nahe bei den Ruinen von Reyana Réné gelebt hätten, so weit Mythos und Legende in die Dunklen Zeitalter zurückreichten – zurück zum ersten Aufbruch.
Die Bewohner des Dunklen Zeitalters hinterließen Ruinen an drei großen Plätzen, beginnend im uralten Ireniana und den abflachenden Wellen der Stacienndanies das Gefälle des Plateaus hinabfolgend. Zu einer Zeit hatten sie das Letzte Salzmeer und einen Großteil Irénés beherrscht. Legenden und Märchen aus dem großen Reich der Dreifachstadt des Aufbruchs im Dunklen Zeitalter wurden weitergereicht ins Erste Reich und vom Älteren Enna erwähnt.
Das moderne Irenaica behauptete, die vierte Stadt von Reyana Réné zu sein. Nach dem endgültigen Austrocknen der Stacienndanies verließen sie die Ufer und erbauten auf dem Sand am Fuß des Plateaus eine neue Stadt, noch immer in Sichtweite der Aufbruchs-Stadt. Sie florierte nicht bis lang nach dem Sturz des Hauses der Sturmkönige vom Zweiten Reich. Während dieser schlimmen Zeiten schwang sich Irenaica vor allem deshalb zur Bedeutung auf, weil es auf drei Seiten geschützt war.
Eine Wachstation bei Gamelumes und ein Spiegelrelais-System am Wand-Land machten überraschende Angriffe unmöglich. Als die Stadt sich zur Hauptstadt des Dritten Imperiums emporschwang (eigentlich begründet in Knob Knoster im Shamsund), hörte sie auf, sich »Die Vierte Stadt von Reyana Réné« zu nennen.
Aber jetzt klammerte sie sich, wie Trebor fröhlich berichtete, grimmig an den Titel Herrin von Iréné gegen die Traditionalisten, die den älteren Namen, der seit zwanzigtausend Jahren unbenutzt gewesen war, wiederbeleben wollten. Selbst während des Dritten Imperiums gingen sie zurück auf die angeblich ruhmreichen Dunklen Zeitalter und versuchten es das Zweite Reyanische Reich zu nennen. Sie wurden behindert durch einen Aufstand Serenais, aber noch mehr durch völlige Unwissenheit über das Reich des Dunkeln Zeitalters. Man kannte nicht einmal mehr seinen Namen …
Nachdem die Hügel des Fernen Fahrlandes verschwunden waren, wurde das verfilzte Sumpfland unter ihnen zu einem tiefen, gleichmäßigen Grün ohne freie Flächen oder sichtbares Wasser. Trebor vermutete, daß sie sich über dem halbmythischen Hackmatack-Wald befanden, der direkt östlich vom schönen Aetha, südlich des Zittersumpfes, lag.
Sie flogen spät in der Nacht noch immer darüber hinweg. Die Mädchen wollten nicht zu Bett gehen, Lissa aus Angst, Viani aus rätselhaften Gründen. Sie warf Trebor immer wieder Seitenblicke zu.
Er griff schließlich nach Lissas Hand und sagte: »Ich möchte –«
»Nein, das tust du nicht!« fuhr Viani sofort dazwischen. »Was du willst, zählt bei Lissa nicht. Sie tut, was ich will!«
»Du verdammte säuerliche Jungfrau! Du weißt nicht, was du willst, und wenn du es wüßtest, hättest du keine Ahnung, was du damit anfangen solltest!«
Viani
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