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Wo die letzten Menschen hausen

Wo die letzten Menschen hausen

Titel: Wo die letzten Menschen hausen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Chilson
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einen Stich. Doch sie waren zu wertvoll. Wenn er nur die Befugnis besessen hätte, ihre Freilassung zu verfügen –
    Der Gedanke war wie ein Blitzstrahl. Seine Kühnheit erschütterte ihn. Der Mann mit derart weitreichender Macht würde der Kämmerer sein. Oder der Pandamon. Aber Sidiun IV zeigte kein Interesse an der Regierung von Vallatia. Andererseits wäre er am leichtesten dazu zu überreden, etwas zu unternehmen. Wenn man ihm einen Schrecken einzujagen vermochte – schließlich war Viani eine Prinzessin –, würde er sie ins Leibhaus bringen lassen, bis der Fall untersucht werden konnte. Das Leibhaus war das Gefängnis für die Adligen, gewöhnlich leer und ohne Zweifel schlecht bewacht. Sie würden nicht lange brauchen, um dahinterzukommen, daß König Witloss der Vierte von Linllallal sich nicht darum scherte, was aus Vions Tochter wurde.
    Aber das würde Trebor Zeit verschaffen, sie zu retten. Es war verwegen, aber Trebors Temperament flammte auf und schwemmte alle Bedenken fort. Er war müde, hatte es satt, hilflos herumzustehen. Vallatias undurchdringliche Gleichgültigkeit gegen ihn versetzte ihn in Raserei.
    Sidiun IV folgte den Spuren von Trebors Vater, Sirrom dem Träger, befaßte sich mit Kultischem, dem Ergründen des »Unsichtbaren Reiches«.
    Trebor kehrte zum Platz der Kleidermacher zurück. Nach langem Suchen fand er das Gewünschte, ein langes Stück schwarzen Stoff, das vermutlich von einem Sarg des Mittelstandes gestohlen worden war, nachdem die Wachen geschlafen hatten. In Vallatia wurden Leichen noch den Sternen und einem letzten Morgengrauen dargeboten. Der Stoff war brüchig, nicht allzu sauber, und neigte zum Zerfasern an den Rändern, aber er kostete Trebor fast sein ganzes Geld.
    Die marmorne Schanschid-Tränke vor dem Palast des Pandamons hatte die Bemerkung ausgelöst, sie sei für diejenigen gedacht, denen beim Anblick des Gebäudes übel werde; es war im Rahmen des   »Ermunterung-der-Künste«-Programms   gebaut   worden.
    Trebor wurde kommentarlos in einen niedrigen, schäbigen und unauffälligen Raum vorgelassen. Sidiun war kein vielbeschäftigter Mann; er stand gewöhnlich gegen Mittag auf und frühstückte jetzt. Trebor kauerte sich in seiner improvisierten Robe hin – einen Hocker verschmähend. Er war hochgewachsen und im Gesicht schmal genug, um angemessen asketisch zu wirken. Sein Schwert hatte ihm einige Probleme bereitet; er hatte es sich auf den Rücken geschnallt, aber sobald er sich hinzusetzen versuchte, stieß die Scheidenspitze gegen den Boden.
    Nach einer Stunde fragte ihn ein zwergenhafter Lakai nach seinem Namen: Nodrog der Nivier, ein demütiger Student der Eldric-Rätsel. Nive war eine einst große Stadt, die Amballa keinen Tribut entrichtete und demzufolge raschen Niedergang erlebte. Seine Bewohner hatten sich einen Ruf als Philosophen erworben, der Apathie wegen, mit der sie diesen Niedergang betrachteten.
    Nach kurzer Zeit kam der Lakai zurück und bat ihn höflich herein. Trebor konnte sich seine entschuldigende Meldung beim Pandamon vorstellen – ein geringer Fang, nur ein Hokuspokusmacher im Vorraum, während Sidiun erwidert haben dürfte: Herein damit, laßt uns unterhalten sein!
    Der private Audienzsaal des Pandamons von Vallatia war kaum eindrucksvoll. Überall hingen schwarze Samtvorhänge, die Decke war mit blauem Samt beschlagen. Das Plappern der vielen Frauen und Konkubinen Sidiuns drang mit den gewohnten Fliegen Vallatias zu den Fenstern herein; das Geschrei von Kindern schwoll in größerer Ferne an und ab. Es gab keine Einrichtung außer Sitzmatten und kleinen niedrigen Tischen – Anda wußte, wozu sie ursprünglich gedient hatten.
    Eine Art Musiker schnob in eine Nasenflöte oder Obö und brachte eine Reihe kurzer, schriller Töne offenbar aufs Geratewohl hervor, Töne, die dem Hörer den Eindruck vermittelten, man stoße ihm Eispickel ins Ohr. Zwei, die als Künstler gelten mochten, stützten sich auf ihre Ellbogen und unterhielten sich träge miteinander. Einer hatte das Ende seiner Matte ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Pandamon zu einem Kissen zusammengerollt. Ein traurig aussehender Mann, mit dem Rücken zum Raum, starrte an die Wand. Er konnte nur ein Dichter sein, und zwar der mo dernste aller modernen Poeten.
    Sidiun der Vieldenkende war ein ehemals fett gewesener mürrischer Mann mit glattrasiertem Gesicht, rosig und babyhaft. Seine Lippen schmollten, seine Lider waren schwer. Er war viel zu dick, um als Mystiker zu

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