Wo die Liebe beginnt
»Down by the Water« von PJ Harvey, »No More I Love Youâs« von Annie Lennox. Conrad gab zu allem seinen Kommentar ab. Er hatte feste Ansichten über Musik, und er verteidigte sie leidenschaftlich. Einige Bands lobte er, andere machte er runter, häufig gerade die beliebten, die er dann als »abgenudelt« oder ȟberbewertet« bezeichnete. Besonders nervig fand er Hootie & the Blowfish, eine meiner Lieblingsbands, aber als Hootie den Refrain von »Hold My Hand« säuselte, griff er schlieÃlich nach meiner Hand und hob die Augenbrauen, wie um sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Da war Janie schon total weggetreten und schnarchte, und Conrad und ich waren wieder allein miteinander. Ich schloss die Augen und fragte mich, warum ich mit keinem anderen Jungen je dieses schwindelerregende, berauschende Gefühl gehabt hatte.
Kurz darauf piepte der Trockner wie ein Wecker. Conrad stand sofort auf, nahm die warmen Laken heraus, führte mich nach oben und bezog das Bett frisch. Dabei achtete er darauf, den Bettbezug genau so zu falten und die drei fransigen Dekokissen aus Brokat exakt so zu arrangieren wie zuvor. Ich fragte ihn, ob er über ein fotografisches Gedächtnis verfügte oder ob er die ganze Zeit über gewusst hatte, dass er bis zum Morgen bleiben würde. Er lächelte und strich weiter die Bettdecke glatt. Als er damit fertig war und auch das Handtuch wieder auf die Stange gehängt hatte, gab es nichts mehr zu tun, nichts mehr, was uns noch etwas Zeit zusammen verschafft hätte. Also gingen wir nach unten, durch die Garage nach drauÃen und traten in die feuchte Morgenluft. Dampf stieg über dem braunen Rasen auf, und die Blumen von Janies Mutter welkten durch die Dürre und das allgemeine Bewässerungsverbot vor sich hin. Auf den letzten Metern hin zu Conrads Auto nahm er meine Hand. Mir war ein bisschen unwohl dabei, und ich hoffte, keiner der Nachbarn auf dem Weg zum Briefkasten würde uns entdecken.
Als wir vor seinem Auto standen, sagte er: »Ich würde dir ja gern einen Abschiedskuss geben, aber ich glaube, ich habe Mundgeruch.«
Ich lachte und erwiderte, bei mir sei es bestimmt nicht besser, obwohl ich heimlich mit Mundwasser gegurgelt hatte, als ich zuletzt im Badezimmer gewesen war. Jedenfalls hob ich das Kinn in der Hoffnung, er würde mich trotzdem küssen. Er sprang darauf an, und unsere Zungen berührten sich â da merkte ich, dass auch er das Mundwasser gefunden hatte.
»Ich würde ja nach deiner Nummer fragen â¦Â«, begann er schüchtern.
Ich sah ihm in die Augen. Er schaute ernst drein. Jetzt kam sicher so was wie: Aber wir wissen beide, dass wir nicht zusammen sein können .
Aber er fuhr fort: »Wenn ich die nicht schon längst hätte.«
»Ach ja?« Ich legte meinen Arm um seine Hüfte.
»Ja«, flüsterte er mir ins Ohr. »Ich habe sie sogar auswendig gelernt. Nur für den Fall.«
»Für welchen Fall?«, fragte ich, überzeugt davon, dass er mich auf den Arm nahm. Dann grinste er.
»Für den Fall, dass ich diese Chance bekäme. Na ja, also, mal ein Bett zusammen mit dir zu beziehen.«
Ich spürte, wie sich ein Schmunzeln auf meinem Gesicht ausbreitete. »Bis später also?«
Er öffnete die Autotür, bückte sich und stieg ein. Dann lächelte er mich an. »Ja, klar.«
In diesem Moment klappte die Tür zu, und der Motor sprang an. Unsere Unterhaltung sollte also weitergehen.
Während der folgenden dreieinhalb Wochen redeten wir jeden Tag miteinander. Das wurde bald ganz alltäglich, aber gerade über diese Entwicklung in unserer Beziehung sprachen wir nicht. Und weder über meinen bevorstehenden Aufbruch zum College nach Ann Arbor noch über seine Zukunft. Wir lebten buchstäblich nur für den Augenblick und machten erst dann Pläne für den Abend, wenn wir zusammen in seinem Auto saÃen. Dann gingen wir ins Kino oder zu ihm nach Hause und sahen fern. Oder er spielte Gitarre und nahm meine Songwünsche entgegen. Oft fuhren wir einfach ohne bestimmtes Ziel durch die Stadt, redeten und hörten Autoradio. Aber wir trafen uns nie mit Freunden, weder mit seinen noch mit meinen, und ich stellte ihn auch nicht meinen Eltern vor. Selbst zu Janie sagte ich nichts, auch wenn ich mir sicher war, dass sie ganz richtig vermutete, mit wem ich meine Zeit verbrachte. Aber je näher ihre Abreise nach Illinois
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