Wo die Liebe beginnt
rückte, wo sie das College besuchen würde, desto mehr erlahmte ihre Neugier. Sie umgab sich lieber mit Leuten, die ebenfalls nach Illinois wollten, besonders mit Ty Huggins, ihrem Sommerflirt.
Auf bestimmte Art fühlte sich das Auseinanderdriften ganz natürlich an. Wir alle bereiteten uns darauf vor, unsere eigenen Wege zu gehen, ein neues Kapitel im Leben aufzuschlagen. Ein Kapitel, das wir herbeigesehnt und akribisch geplant hatten â seit mindestens vier Jahren, in meinem Fall aber schon viel länger, nämlich seit mein Vater, der selbst in Michigan studiert hatte, mich mit zehn Jahren zu einem Footballspiel nach Ann Arbor mitgenommen hatte. Meine Freunde und ich waren gleichzeitig freudig erregt, traurig und nervös. Wir gerieten uns immer häufiger mit unseren Eltern in die Haare, weil wir ihre Regeln und ihre dauernde Kontrolle nicht mehr ertrugen. Wir wollten unabhängig sein. Aber wir hatten auch schreckliche Angst davor, von ihnen wegzugehen. Wir freuten uns füreinander, fürchteten aber auch, unsere goldenen Jahre würden schon bald verblassen â dieses Phänomen konnte man jedenfalls an den Erwachsenen in unserer Umgebung beobachten. Das College würde unsere Erinnerungen schon bald überlagern, würde uns verändern und zu Erwachsenen machen. Wir würden erkennen, wer wir waren und einmal sein würden. Wir steuerten auf etwas GröÃeres, Bedeutenderes zu. Wir konnten es in der schweren Sommerluft spüren, dieses Wunderbare, das auf uns wartete.
Irgendwie war auch Conrad ein Teil dieses Ãbergangs, obwohl ich wusste, dass er nichts mit meiner Zukunft zu tun haben würde. Er gehörte aber auch nicht zu meiner langweiligen Kindheit, von der ich mich so dringend lösen wollte. Wir hatten fast keine gemeinsamen Erinnerungen, in denen wir schwelgen konnten, bis auf ein paar vereinzelte Gelegenheiten, bei denen wir einige Worte gewechselt hatten. Manchmal spielten wir das »Was wäre gewesen, wenn«-Spiel: Was wäre gewesen, wenn er mich angerufen hätte anstatt meine Telefonnummer nur auswendig zu lernen? Was, wenn Janie und ich letztes Jahr den Mut gehabt hätten, uns mit gefälschten Ausweisen in sein Konzert zu schleichen, am selben Abend, an dem er seine (inzwischen Ex-)Freundin kennenlernte? Im Grunde meines Herzens glaubte ich nicht daran, dass wir mehr als nur Freunde geworden wären, wir waren einfach zu verschieden. Ich ging zu Footballspielen, war Cheerleaderin und Mitglied der Schülervertretung und legte Wert auf gute Noten â alles Dinge, die er verachtete. Jetzt aber fingen wir zusammen ganz neu an, waren bereit für neue Erfahrungen â und Conrad war meine erste. Er war ein Symbol für Unabhängigkeit und neue Möglichkeiten. Die schönste Form eines Tagtraums.
Es gab aber auch Momente, in denen ich wider alle Vernunft von einer Zukunft für uns beide träumte, davon, dass wir über die kommenden Monate und Jahre zusammenbleiben würden. Natürlich wusste ich, dass das nicht realistisch war, aber eines Abends, als wir uns zum zweiten Mal Braveheart in einem kalten, dunklen Kino ansahen und dabei M&M âs knabberten, fragte ich mich, was wäre, wenn er auch demnächst aufs College ginge. Ganz egal, auf welches. Vielleicht hätte ich mich dann an der Vorstellung einer Fernbeziehung festhalten können, so wie meine Freunde Emily und Kevin, die nach Wake Forest beziehungsweise Stanford gingen, aber trotzdem zusammenbleiben wollten. Ich redete mir ein, dass ich mir das nicht deshalb wünschte, weil ich mich schämte, einen Freund zu haben, der nicht aufs College ging (obwohl mir das tatsächlich was ausmachte), sondern deswegen, weil wir in Zukunft in verschiedenen Erfahrungswelten leben würden. Wir wären noch weiter entfernt voneinander als in der Highschool. Es schien einfach unmöglich.
Aber vorerst gab es nur uns beide, und die Zeit stand still für uns. Wir lebten nur für den Moment und für unsere unmittelbaren Bedürfnisse. Das bedeutete natürlich auch Sex. Viel Sex. »Ficken« nannte er es manchmal, und ich tat immer so, als würde dieser Ausdruck mich stören, obwohl er mich im Geheimen erregte. Einmal rutschte ihm die Frage heraus, ob wir »zärtlich werden« wollten, aber er fügte schnell hinzu: »Oder so ähnlich.« Egal, wie man es auch bezeichnen wollte, wir taten es noch neun weitere Male, insgesamt also zehnmal.
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