Wo die Liebe beginnt
weiÃ, dass er irgendwie recht hat. »Peter, was hätte ich denn sonst mit ihr machen sollen?«
»An deiner Bindung zu ihr arbeiten?«
»Sie war nicht hier, um sich eine neue Mutter zu suchen. Sie hat schon eine.«
»Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie sich mehr von ihrem Besuch versprochen hat als Stadtbesichtigung und Shopping. Sie braucht dich.«
»Ach ja? Und was hätte ich machen sollen? Ihr die Ohren darüber vollheulen, wie traurig ich darüber bin, dass ich sie nicht behalten habe?« In dem Moment, als die Worte drauÃen sind, begreife ich, was ich gesagt habe. Zum ersten Mal nach all den Jahren des Selbstbetrugs spüre ich Reue. Ich hätte sie behalten können. Ich hätte mich für eine offene Adoption entscheiden können. Zumindest aber hätte ich die Wahrheit sagen können.
Peter hat es auch begriffen und gibt einen Laut von sich, den ich als »Na, siehst du« interpretiere.
»Okay«, sage ich. »Du hast gewonnen.«
Sein Tonfall ähnelt plötzlich dem eines Therapeuten, der seine Klientin zu einer schmerzvollen Erkenntnis geführt hat. »Ich will nicht behaupten, dass du was falsch gemacht hast, indem du sie zur Adoption freigegeben hast. Du hast bis jetzt ein wunderbares Leben gehabt. Und sie sicher auch.«
Meine Augen füllen sich mit Tränen, als ich nach meinem Mantel und dem Hausschlüssel suche. »Peter, ich bin sechsunddreiÃig. Ich will Mutter sein. Und mein Freund will kein Kind mehr â¦Â«
»Das habe ich nie so gesagt.«
»Ach, dann willst du also eins? Oder doch nicht?«
Schweigen.
»Das heiÃt Nein?«
»Das heiÃt, ich weià es nicht.«
»Okay. Mein Lebensgefährte, mit dem ich schon zwei Jahre zusammen bin, weià nicht, ob er noch ein Kind will. Wenn ich mit ihm zusammenbleibe, weià ich also auch nicht, ob ich ein Kind haben werde. Und wenn ich mit ihm Schluss mache, weià der Himmel, ob ich einen neuen Partner finde, solange meine rapide abnehmende Fruchtbarkeit noch anhält.«
»Ich gehe mal davon aus, dass du bei deinem Lebensgefährten bleibst«, sagt Peter.
»Aha, dann stehst du mit deiner Einschätzung aber ziemlich alleine da. Vielleicht solltest du heute Abend zu Hause bleiben.«
»Ja, vielleicht«, erwidert er. Jetzt ist er genauso verärgert wie ich.
»Bis dann«, sage ich und lege auf, bevor er die Gelegenheit dazu hat.
Eine Viertelstunde später bin ich am Campagnola an der Upper East Side angekommen. Es ist ein klassischer Italiener mit rustikalem Dekor und zahlungskräftiger Kundschaft â und auÃerdem eins von Peters Lieblingslokalen. Als ich reinkomme, entdecke ich sofort Claudia und Jess, zwei meiner besten Freundinnen. Sie sitzen an der Bar. Jess ist umgeben von drei Männern, typisch für sie.
»Hallo!«, rufe ich in dem Versuch, das lebhafte Geschnatter und die Sinatra-Nummer des Pianisten zu übertönen. Das Herz ist mir schwer, aber ich gebe mich fröhlich. Ist mein Leben wirklich nur Fassade?
»Hey, Mädel! Willst du einen TLC ?«, fragt Jess und hebt ihr Glas.
»Und was ist das?«, will ich wissen.
»Whiskey, Cointreau, Pastis, Wermut, Angostura. Sogar Claudia findet das gut«, erklärt sie und signalisiert dem Barkeeper, dass er noch zwei machen soll.
» Sogar Claudia?«, fragt Claudia. Sie weiÃ, dass sie von uns dreien die Konservativste ist â Jess nennt sie verklemmt â, aber Claudia wehrt sich gegen diese Einschätzung.
Jess lächelt süffisant und wendet sich wieder ihrem Anzugträger-Publikum zu. »Das beweist, dass ich recht hatte. Jeder mag Whiskey, die Frage ist bloÃ, wie, wann und wo.«
Die Männer lachen ein bisschen zu herzhaft. Sie sind in den Bann einer Frau geschlagen, die Whiskey mag und dazu noch aussieht wie ein Model. Zu allem Ãberfluss ist Jess eine knallharte Investmentbankerin, die die Insolvenz von Lehman Brothers überlebt hat und inzwischen die Abteilung Healthcare Banking bei Goldman Sachs leitet. Im Scherz habe ich schon oft zu Peter gesagt, dass sie perfekt zu ihm passen würde. Sie ist eine lustigere, hübschere, klügere Ausgabe von mir. Und genau wie Peter hat sie gewisse Bindungsängste.
Inzwischen unterhalte ich mich mit Claudia über die Ereignisse der letzten Zeit. Das Thema Männer klammern wir dabei dezent aus, was uns durch Bens Ankunft noch erleichert wird. Ben ist Claudias
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