Wo die Liebe beginnt
nicht. Das hat mich ziemlich überrascht.«
»Hat es dich verletzt?«
»Ja, schon.« Schnell füge ich noch hinzu: »Aber egal. Ist ja kein groÃes Ding.«
»Dann weià dein leiblicher Vater also nicht, dass es dich gibt?«, fragt Mr. Tully.
»Nein.« Mir schieÃt das Blut in die Wangen. Ich fühle mich, als wäre das eine Aussage über mich â anstatt über Marian. »Sie hat ihm die Schwangerschaft verschwiegen.«
Als er nicht reagiert, sage ich: »Echt krass, oder?«
»Ich bin Vertrauenslehrer«, sagt er und knackt mit den Fingerknöcheln. »Mich schockt so leicht nichts.«
»Tja, wäre wohl gut gewesen, wenn sie mit Ihnen gesprochen hätte. Damals in den Neunzigern.«
»Warum? Meinst du, dann hätte sie sich anders entschieden?«
»Nein«, erwidere ich schnell. »Das will ich damit nicht sagen. Ich wünsche mir einfach, sie hätte es ihm nicht verschwiegen.«
»Na klar.«
»Wissen Sie, was? Ich glaube, ihr geht es genauso. Und vielleicht hätte sie es ja anders gemacht, wenn sie mit jemandem wie Ihnen darüber gesprochen hätte.«
»Also dann! Worauf wartest du noch?«, fragt Mr. Tully.
»Wie meinen Sie das?«
»Warum suchst du deinen Vater nicht auch?«
»Dafür ist es zu spät«, sage ich, obwohl ich am Abend zuvor wieder zwei Stunden im Internet nach ihm gesucht habe. »Für sie ist es jedenfalls zu spät. Weil ihr Leben doch so wahnsinnig perfekt ist und so.«
»Ihr Leben ist nicht perfekt, Kirby«, sagt Mr. Tully, und in dem Moment klingelt die Schulglocke. »Und zu spät ist es ganz bestimmt nicht.«
14 â Marian
Am Dienstagmorgen klopft Peter an meine Bürotür. Das hat es noch nie gegeben, ohne dass wir einen Besprechungstermin hatten, und die Besprechungen finden sonst immer in seinem Büro statt. Er fragt mich, ob ich eine Sekunde Zeit habe.
»Klar«, sage ich, und meine Handflächen werden feucht. Seit drei Tagen haben wir nicht mehr miteinander geredet â seit ich seine Wohnung verlassen habe. Ich habe keine Ahnung, was er mir sagen will, aber ich hoffe, es ist was Privates. Innerhalb von wenigen Augenblicken kapiere ich allerdings, dass es um etwas Berufliches geht. Er öffnet einen Ordner und lässt meinen Entwurf einiger Folgen auf meinen Tisch gleiten. Sofort bemerke ich, dass er ihn im »Ãnderungen verfolgen«-Modus ausgedruckt hat. Die Ränder sind voll mit Anmerkungen.
»Hat er dir nicht gefallen?«, frage ich.
»Natürlich hat er mir gefallen. Vicky und ich mochten ihn beide.« Er meint die Programmdirektorin, meine unmittelbare Vorgesetzte, die jetzt vermutlich vor mir stünde, wären Peter und ich kein Paar.
»Aber wir müssen uns über ein paar Dinge unterhalten«, sagt er. Enttäuschung macht sich in mir breit. Diesen Blick von ihm kenne ich von der letzten Staffel â und von der davor. Das ist der Blick, den er aufsetzt, wenn er mir sagen will, dass ich alles noch mal schreiben soll.
Ich blättere die Seiten durch. Da ist ein Kommentar am Rand: »Zu viel Alkohol.« Ich zeige darauf und sage: »Peter, die Serie spielt in einer Bar. Hat Norm aus Cheers vielleicht zu viel getrunken?«
»Hör mal. Fühl dich bitte nicht angegriffen.«
»Tu ich doch gar nicht«, gebe ich zurück und arbeite mich durch weitere Randnotizen, die den »Tonfall« bestimmter Szenen oder Dialoge betreffen.
»Was sollen diese Anmerkungen über den Umgangston? Was ist denn falsch daran?«, frage ich.
»Nichts. Der Ton muss bloà umgänglicher werden.« Er schlägt die Beine übereinander, typisch männlich, und schmunzelt vor sich hin.
Ich verziehe keine Miene.
»Tut mir leid«, sagt er und schlägt die Beine wieder auseinander. »Witze sind jetzt wohl nicht angebracht.«
»Eher nicht. Sag mir einfach direkt, was los ist.«
»Na gut. Der Umgangston ist zu heftig. Zu viel Sex, zu viel Alkohol, zu viele Schimpfwörter, zu viel Gewalt â¦Â«
»Das ist doch keine Familienserie. Das weiÃt du auch, oder?«
»Ja, ist mir schon klar, aber â¦Â«
»Und der Umgangston ist derselbe, den wir schon immer hatten.«
»Nicht ganz. Das ist ein schmaler Grat, und du bist kurz davor abzurutschen.«
»Aber das mögen die Leute doch an uns. Wir sind nicht langweilig und gewöhnlich.«
»Schau mal,
Weitere Kostenlose Bücher