Wo die Liebe beginnt
denke an unsere letzte Umarmung, bevor ich sie ins Taxi gesetzt habe, daran, wie sehr ich sie plötzlich vermisse, und daran, was ich alles verpasst habe, weil ich nicht ihre Mutter war. Aber meine Freunde schauen mich gespannt an, darum stelle ich mein Glas ab und sage: »Also gut. Mein Streit mit Peter drehte sich teilweise auch ⦠ums Heiraten. Ich will ein Kind. Ich will Mutter sein â¦Â«
Claudia nimmt meine Hand, ich atme tief durch und überlege, was ich jetzt sagen soll. Mache ich das eigentlich für mich â oder will ich Peter etwas beweisen? »Und das wünsche ich mir so sehr, weil ⦠also, weil ich schon mal ein Baby hatte. Vor langer Zeit.«
»Was? Wann denn?«, schreit Jess.
Ich starre auf die Tischplatte, rede aber tapfer weiter. »Mit achtzehn. Vorm College. Ich hab das Baby zur Welt gebracht ⦠und es dann weggegeben.«
»Zur Adoption freigegeben?«, fragt Jess.
Ich lächele. »Also, ich habe die Kleine nicht im Weidenkörbchen vor der Kirchentür ausgesetzt.«
»Mein Gott, Marian«, seufzt Claudia. Ich muss an ihre Schwester denken, die in offener Adoption ein Kind adoptiert hat. Ben schaut mich voller Mitgefühl an.
»Verdammt«, sagt Jess und nimmt meine andere Hand.
»Tja, heftig, oder?« Ich lächele wieder, um der Situation die Dramatik zu nehmen. Dann kommt die Kellnerin und sagt ihr Sprüchlein auf. Jess bestellt zwei Flaschen von einem toskanischen Rotwein und eine bunte Auswahl unserer üblichen Vorspeisen.
Kurz darauf nimmt Jess das Verhör wieder auf. »Warum hast du uns nie was darüber erzählt?«, fragt sie verblüfft. Sie selbst schafft es nicht mal, vor einem Taxifahrer ein Geheimnis zu bewahren.
»Ich habe es niemandem erzählt«, sage ich. »Achtzehn Jahre lang habe ich die Geschichte geheim gehalten. Nur meine Mutter wusste Bescheid. Selbst meinem Vater habe ich nichts davon gesagt. Und auch nicht dem Vater des Babys. Niemand hatte die leiseste Ahnung. Bis letzten Samstag. Da hat sie plötzlich an meiner Tür geklingelt.«
Ich warte, dass jemand etwas sagt, aber keiner spricht. Dann rede ich weiter, erzähle ihnen von Kirby â und merke mit Schrecken, dass ich kaum etwas über sie weiÃ. Ich denke an Peters bissige Bemerkungen über Stadtbesichtigung und Shopping und schäme mich.
»Moment mal. Du hast es dem Vater des Kindes nicht gesagt?«, fragt Jess, die sich sofort auf die schlimmste Stelle der Geschichte stürzt. »Das ist ja irre. Und ich dachte immer, du wärst so spieÃig wie Claudia.«
Claudia und ich überhören den letzten Satz. »Und darum ist Peter heute Abend nicht hier. Er findet, ich habe mich mit der Sache noch nicht intensiv genug auseinandergesetzt«, sage ich.
Am Tisch herrscht Stille. »Seid ihr sauer auf mich, weil ich es euch verschwiegen habe?«
Alle behaupten, nicht sauer zu sein. Ich nehme es ihnen ab. Dann kommt die Kellnerin mit dem Wein und verschafft mir eine kurze Verschnaufpause.
Jess ist die Erste, die ihr Glas erhebt. »Auf streng geheime Adoptionen!«
Alle lachen.
»Ich wollte es euch schon oft sagen«, erkläre ich und schaue zuerst Claudia an. »Als du mir erzählt hast, dass deine Schwester Luke adoptiert hat ⦠oder als du schwanger warst mit Frances.« Dann wende ich mich Jess zu. »Und auch jedes Mal, wenn du mir eins deiner kleinen Geheimnisse anvertraut hast.« Ich lächele. »Aber ich habe mich schon vor langer Zeit dafür entschieden, niemandem irgendwas zu erzählen. Ich wollte die Sache hinter mir lassen und nach vorne schauen.«
Ben fragt: »Und wo genau liegt für Peter da das Problem?«
Ich zucke die Schultern. »Das weià ich wirklich nicht. Für ihn geht es anscheinend um Ehrlichkeit und darum, dass ich ihm etwas Wichtiges verschwiegen habe.«
Claudia sieht Ben an und fragt: »Schatz, würde es dir auch so gehen?«
»Ich kann mich nur schwer in die Lage versetzen. Weil du am Anfang doch kein Kind wolltest«, erwidert Ben.
»Na, dann stell dir vor, dass es um etwas anderes geht. Um irgendwas, das sie vor dir geheim gehalten hat«, sage ich.
»Hm, so was wie einen lesbischen Dreier?«
»Tu nicht so«, sagt Claudia. »Schlüpfrige Männerfantasien nimmt dir keiner ab.«
Ben lächelt, nimmt einen Schluck Wein und wird wieder ernst. »Ich würde ja gerne sagen, dass ich dich verstehe.
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