Wo die Liebe beginnt
Einstecktuch. Widerwillig frage ich: »Und wo willst du hin?«
» JFK «, antwortet er. »Ich nehme den Neun-Uhr-Flug nach L. A.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«, frage ich leicht sarkastisch.
»Na, was glaubst du?«
Ich zucke die Schultern, um zu zeigen, dass ich schlieÃlich keine Ahnung habe, was in seinem Leben gerade vorgeht. Vielleicht ist er ja wirklich auf dem Weg zu einem Date mit einer dümmlichen Schauspielerin. Vielleicht hat er beschlossen, dass er sich nicht weiter mit meinen Problemen auseinandersetzen will, sondern lieber ein Verhältnis mit einer scharfen Fünfundzwanzigjährigen anfängt, die kein Baby möchte. Die auch noch kein Baby auf die Welt gebracht hat. In mir steigt eine irrationale Eifersucht auf, vermischt mit Traurigkeit und Wut und bitterer Enttäuschung.
»Für Vergnügungen habe ich keine Zeit. Ich muss ein paar Pilotfolgen vorführen und an den endgültigen Fassungen feilen«, sagt er.
»Und, sind wir über den Berg?«
Er sieht verwirrt aus. »Ach so. Ich dachte, du meinst uns. Meinst du deine Sendung?«
»Ja. Ist sie über den Berg?«
Ich frage, obwohl ich eigentlich nicht glaube, dass es ernsthafte Probleme geben wird. Aber er zuckt bloà unsicher die Schultern, als wäre er nur ein Botenjunge und nicht der Chef des Senders.
»Und du? WeiÃt du, was jetzt Sache ist mit Rivers?«
»Nein«, sage ich. Ich könnte ihm auch antworten, dass ich derzeit bei vielen Dingen nicht weiÃ, was Sache ist , aber ich lasse es sein. »Warum? Ist sie so wichtig?«
Er zieht ein Gesicht. Plötzlich kriege ich Angst, dass nicht nur meine Beziehung in Gefahr ist, sondern auch meine Serie und meine Karriere. Dass es um mehr geht als nur einen anderen Sendeplatz und verwässerte Dialoge.
»Meinst du das ernst?«, frage ich.
»Die Werbekunden sind nicht glücklich mit der neuesten Entwicklung.«
Verzweiflung steigt in mir auf, aber ich bleibe gelassen und versuche, meinem Chef mit Argumenten zu kommen. »Unsere Besetzung lebt doch vom ganzen Ensemble. Und wir haben immer noch Damien und Carrie. Sie haben eine halbe Million Twitter-Follower. Seit diese Geschichte angefangen hat, haben sie ihre Follower verdoppelt. Verdreifacht wahrscheinlich!«
»Marian, ganz ruhig.«
»Nein, Peter, ich kann nicht ruhig bleiben. Nicht bevor du mir sagst, dass wir über den Berg sind. Manchmal muss man einfach Vertrauen haben ⦠Es wird schon alles gut. Auch ohne sie. Ich meine, wenn The Office ohne Carell weitermachen kann, dann schaffen wir das doch auch ohne so einen C-Promi.«
»Du gehst nicht gerade geschickt vor, wenn du deine Hauptdarstellerin einen C-Promi nennst.«
»Aber Peter, es geht doch eigentlich nicht um die Schauspieler. Es geht ums Buch.«
Er lächelt. Eine Sekunde lang glaube ich, er macht sich über mich lustig, aber dann bemerke ich, dass Zärtlichkeit in seinem Blick liegt. So hat er mich früher immer angeschaut. Er bewundert meine Hartnäckigkeit. Aber »Champ« hat er mich schon lange nicht mehr genannt.
»Kämpf für uns, Peter. Ãberzeug deine Leute, dass wir unsere Zuschauer behalten werden. Davon bin ich nämlich überzeugt. Du auch, oder?«
Bevor er antworten kann, öffnen sich plötzlich alle Himmelsschleusen, und ein heftiger Platzregen setzt ein. Zum Glück stehe ich gerade unter dem Vordach des Gebäudes, aber ich ärgere mich trotzdem, dass ich keinen Schirm dabeihabe. Jetzt ein Taxi zu bekommen ist nämlich ein Ding der Unmöglichkeit. Peter schaut mich mitfühlend an, rutscht zur Seite und klopft auf den Platz neben sich.
»Steig ein. Ich nehme dich mit.«
Ich zögere und tue mein Bestes, ihm zu widerstehen. »Du wirst deinen Flug verpassen«, gebe ich zu bedenken.
»Wo bist du zum Essen verabredet?«
»Im Modern . Das liegt nicht gerade auf dem Weg.«
»Es ist bloà ein Umweg von vier Blocks. Komm schon, steig ein, zier dich nicht so.«
Ich klettere auf den Rücksitz, schlieÃe die Tür, verschränke die Beine und lehne mich zum Fenster, also weg von ihm.
»Wir lassen die Dame auf der Fifty-third aussteigen, zwischen der Fifth und der Sixth«, weist er den Fahrer an. Der Regen auf dem Autodach und das Quietschen des Scheibenwischers untermalen unser Schweigen. Endlich räuspert er sich und greift nach meiner Hand, aber eher wie ein Bruder oder
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