Wo die Liebe beginnt
herabgesetzt!« Sie beugt sich über ihren groÃen Taschenrechner und tippt ein paar Zahlen ein. Charlotte und ich tauschen einen amüsierten Blick. Sogar ich schaffe diese Rechnung im Kopf.
»Einhundertundfünzig plus Mehrwertsteuer«, sagt Shelly.
»Perfekt«, erwidert meine Mom, und wir wenden uns Belinda zu. Sie trägt ein langes, türkisfarbenes Kleid aus Rohseide. Eine Schulter ist frei, und hinten läuft es in einer langen, mit Glitzersteinen besetzten Schleppe aus, sodass Belinda aussieht wie eine sexy Meerjungfrau. Belinda findet, das Kleid wirkt Wunder, weil es ihre Hüften und ihren Bauch versteckt und dafür ihren runden Po (den sie gerne »Ghetto-Booty« nennt) und ihre Brüste betont.
»Es ist klasse«, sage ich.
»Finde ich auch«, sagt Charlotte.
»Ist es nicht ein bisschen zu gewagt?«, fragt meine Mom.
»Nein, Mom«, erwidere ich, und Charlotte ergänzt, dass es nicht mal ein besonders tiefes Dekolleté hat. Natürlich versteht Belinda das als Aufforderung, ihre »Mädels«, wie sie ihre Brüste nennt, ein Stück nach oben zu schieben. Meine Mutter ignoriert das. Sie hält Belinda ohnehin für einen hoffnungslosen Fall.
»Ich muss allerdings dazu sagen, dass das eins unserer teuersten Modelle ist«, bemerkt Shelly.
»Ich weië, entgegnet Belinda. »Ich hab das Preisschild gesehen.«
»Wie viel?«, frage ich.
»Vierhundert«, antwortet Shelly mit entschuldigender Miene.
»Ist es auch herabgesetzt?«, fragt Belinda.
»Leider nein«, erwidert Shelly. »Aber es ist wirklich sein Geld wert. Die Schleppe ist sehr aufwendig gearbeitet.«
»Ruf deine Mom an. Oder deinen Dad. Vielleicht bezahlen sie jeweils die Hälfte.«
»Keine Chance«, sagt Belinda, aber sie geht trotzdem zurück in ihre Kabine und versucht ihr Glück am Telefon. Ich höre, wie sie ihre Mom fragt, ob ihr Dad endlich mal wieder einen Scheck geschickt hat, und ich merke an Belindas Reaktion, dass die Antwort, wie üblich, Nein heiÃt.
Wenige Sekunden später kommt sie heraus. Sie hat sich umgezogen und trägt wieder ihr altes, verwaschenes Polohemd und den engen Khakirock. Sie schaut traurig drein. »Du bist dran, Kirby«, sagt sie.
Voller Mitleid nicke ich und betrachte mich in meinem schwarzen Zwanziger-Jahre-Kleid. Es ist echt toll. Es steht mir gut und sieht raffiniert aus, nicht nur wegen der Farbe, sondern auch wegen des Schnitts. Und auÃerdem ist es originell. Ich wette, auÃer mir hat niemand so ein Kleid. Es flattert so schön, wenn ich mich auf die richtige Art bewege, und beim Tanzen wäre der Effekt sicher noch cooler.
»Es passt total gut zu dir«, sagt Belinda, die sich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt hat. »Echt klasse.«
Auch meine Mom und Charlotte sind sich einig, dass es mir sehr gut steht. Ich bitte meine Schwester, mit ihrem Handy ein Foto von mir zu machen. Ich werfe mich in Pose, lege eine Hand auf meine Hüfte und stelle ein Bein leicht vor das andere, so wie die Models immer in den Zeitschriften zu sehen sind. Aber ich muss irgendwas falsch machen, denn ich komme mir ziemlich komisch vor. Auf dem Bild sehe ich dann auch echt doof aus. Ich bitte Charlotte, noch ein Foto zu machen, aber dieses Mal stelle ich mich ganz normal vor sie hin.
»Willst du Marian das Bild schicken?«, fragt meine Mom. Sie versucht, möglichst beiläufig zu klingen, aber ich weiÃ, dass sie der Gedanke bekümmert â was mich wiederum gleichzeitig anrührt und wütend auf sie macht.
»Nein, Mom«, erwidere ich. Wahrscheinlich hatte ich tatsächlich vor, Marian mein Ballkleid zu zeigen. Um ihr auf meine Art noch mal zu sagen, dass ich ihr das mit den teuren Klamotten nicht übelnehme. Und auÃerdem, weil ich weiÃ, dass es ihr gefallen würde.
»Doch, du solltest es ihr echt schicken!«, ruft Charlotte. »Dann kannst du sie auch gleich fragen, ob sie Tipps in Sachen Handtasche, Schmuck und Schuhe für dich hat.«
»Halt, halt! Handtasche, Schmuck und Schuhe?«, sagt meine Mutter. »Ich weià nicht, ob das noch drin ist. Ihr könnt euch was von mir ausleihen.«
»Vielleicht leiht Marian dir ja auch was von ihrem Zeug«, meint Charlotte. »Die hat sicher total abgefahrene Sachen ⦠Welche SchuhgröÃe hat sie?«
»SiebenunddreiÃig, wie ich«, sage ich.
Meine Mutter, die vierzig
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