Wo die Liebe beginnt

irgendeinem Grund muss ich auch an Marian denken. Wie würde sie reagieren, wenn ich ihr das erzählte? Was würde sie über Belinda denken? Und was würde sie erst über mich denken? Ich schaue scheinbar teilnahmslos aus dem Autofenster und tue so, als würde das geklaute Vierhundert-Dollar-Ballkleid zu meinen Füßen gar nicht existieren.

20 – Marian
    Ein paar Tage, nachdem meine Mom wieder nach Chicago zurückgeflogen ist, schaue ich Mad Men und frage mich, wie die Programmmacher in meinem Sender diese Serie wohl ruinieren würden, wenn sie die Gelegenheit dazu bekämen. Da klingelt das Telefon. Ich werde ganz aufgeregt, als ich Kirbys Namen auf dem Display lese.
    Â»Hallo!«, rufe ich.
    Â»Hallo. Störe ich dich bei irgendwas?« Sie klingt niedergeschlagen. Ob es noch um die Kleider geht? Oder ist sie eins von den Mädchen, die immer traurig klingen, während andere ständig fröhlich daherplappern?
    Â»Nein, ich habe bloß ein bisschen ferngesehen. Was ist los?«, will ich wissen. Ich hoffe wirklich, dass alles in Ordnung ist bei ihr, und spüre, dass ich gerne mit ihr reden will. Egal über was. Meinetwegen auch über Conrad.
    Â»Also … ich gehe zum Schulball«, erzählt sie verlegen, aber auch stolz, als sei das etwas Außergewöhnliches für sie.
    Â»Das ist ja toll. Sehr aufregend!«, sage ich. »Und wer ist der Glückliche?«
    Â»Er heißt Philip Chang«, berichtet sie. »Er geht auf eine andere Schule, aber meine Freundin Belinda hat uns zusammengebracht. Sie geht mit seinem besten Freund auf den Ball. Wir sind also zu viert.«
    Â»Bist du ein bisschen verliebt in ihn? Oder seid ihr nur befreundet?«
    Sie zögert. »Ich weiß nicht. Er ist nett und echt schlau. Und wir haben viel gemeinsam. Er ist ganz anders als die Jungs auf meiner Schule. Hm, ja, ich glaube, ich bin schon in ihn verliebt.«
    Das aufgeregte Trällern in ihrer Stimme versetzt mich plötzlich in frühere Zeiten. Ich werde ganz nostalgisch, als ich an Conrad denke, und daran, wie nahe ich mich ihm fühlte während unserer kurzen Beziehung. Ich fand ihn so anziehend, weil er eben nicht war wie die anderen. Ob er noch immer so ist? Oder haben die Jahre ihn verändert? Ich kann ihn mir wirklich nicht als Vorstadt-Daddy vorstellen, mit Kindern, einem Minivan und einem Bürojob, den er hasst. Aber ich verbanne ihn aus meinen Gedanken und sage Kirby, dass ich mich sehr für sie freue.
    Â»Danke. Ist ja keine große Sache. Aber ich habe ein Kleid gefunden«, sagt sie.
    Ich bitte sie, es zu beschreiben: Es ist ein schwarzes Kleid im Zwanziger-Jahre-Look. »Ich schicke dir ein Bild«, bietet sie an.
    Â»Ja, bitte! Ich will alle deine Ballbilder sehen. Schieß jede Menge Fotos!«
    Â»Klar«, meint sie und fragt, ob ich damals zum Schulball gegangen bin.
    Ich erzähle ihr, dass ich in der Elften nicht hingehen konnte, weil da gerade das Pfeiffer’sche Drüsenfieber herumging, dass ich in der Zwölften aber dort war.
    Â»Mit Conrad?«, will sie wissen.
    Â»Nein«, erwidere ich verlegen. »Mit meinem damaligen Freund Todd Peterson.«
    Â»Hast du dich gut amüsiert?«
    Â»Ja«, sage ich nicht ganz überzeugend. Dann lache ich los. »Na ja, eigentlich nicht. Wir haben uns die meiste Zeit gestritten.«
    Â»Ãœber was denn?«
    Ich klemme mir den Hörer zwischen Ohr und Schulter und binde den Gürtel meines Bademantels fester. »Er war ziemlich unreif. Und seine Freunde waren noch schlimmer – ganz furchtbar. Die meisten konnte ich nicht leiden, weil der Abend für sie ein reines Besäufnis war.«
    Â»Und du wolltest lieber einen romantischen Ball?«
    Â»Ich wollte wenigstens ein bisschen tanzen. Oder meinetwegen auch nur im Ballsaal sein. Aber ich habe den ganzen Abend in einem verrauchten Hinterzimmer im DoubleTree verbracht und ihm dabei zugeschaut, wie er sich betrunken hat. Es war wirklich armselig.«
    Â»Echt blöd«, meint sie.
    Â»Ich will ja gar nicht sagen, dass der Schulball der wichtigste Abend deines Lebens ist. Aber man sollte sich schon darum bemühen, etwas Besonderes draus zu machen. Wenigstens sollte man nüchtern genug bleiben, damit man sich hinterher daran erinnert, anstatt schon um neun ins Koma zu fallen.«
    Â»Hast du darum mit ihm Schluss gemacht?«, fragt sie. Was wäre eigentlich geschehen, wenn Todd nicht so unreif gewesen