Wo die Nacht beginnt
Lachen.
»Bis zum Bishop’s Head bin ich gar nicht gekommen«, gestand ich. »George war an Paul’s Cross und hörte einem Prediger zu.«
»Die Menschenmengen, die sich dort versammeln, um den Predigern zuzuhören, können gefährlich werden«, sagte er leise. »Eigentlich sollte Pierre nicht zulassen, dass du dich länger dort aufhältst.« Wie durch ein Zauberwort erschien sein Diener im Raum.
»Wir sind nicht lange geblieben. George hat mich zu seinem Apotheker mitgenommen. Ich habe ein paar Bücher und ein paar andere Sachen gekauft. Siegelwachs. Rote Tinte.« Ich presste die Lippen zusammen.
»Georges Apotheker lebt in Cripplegate«, sagte Matthew tonlos. Er sah zu Pierre auf. »Immer wenn sich die Londoner über die hohe Verbrechensrate beschweren, reitet der Sheriff dorthin und liest alle auf, die gerade dort herumlungern oder irgendwie verdächtig wirken. Das macht ihm das Leben einfach.«
»Wenn der Sheriff sich in Cripplegate austobt, warum gibt es dann am Barbican Cross so viele nichtmenschliche Geschöpfe und hier in Blackfriars so wenige?« Mit dieser Frage hatte Matthew nicht gerechnet.
»Blackfriars war einst heiliger christlicher Boden. Dämonen, Hexen und Vampire hatten sich angewöhnt, anderswo Quartier zu nehmen, und sind noch nicht zurückgekehrt. Das Barbican Cross hingegen wurde dort errichtet, wo sich vor Hunderten von Jahren der jüdische Friedhof befand. Nachdem die Juden aus England vertrieben worden waren, nutzte der Stadtrat die ungeweihte Grabstätte, um dort Verbrecher, Verräter und Exkommunizierte zu beerdigen. Die Menschen glauben, dass es da spukt, und meiden die Gegend.«
»Also habe ich dort nicht nur das Unglück der Lebenden, sondern auch der Toten gespürt.« Ehe ich es mich versah, waren die Worte aus mir herausgesprudelt. Matthew sah mich scharf an.
Unsere Unterhaltung besserte seine angespannte Laune nicht, und ich fühlte mich mit jeder Minute unwohler. »Jacqueline hat mir John Hester empfohlen, als ich sie nach einem Apotheker fragte, aber George meinte, seiner sei genauso gut und preiswerter. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, George zu fragen, in welcher Gegend er wohnt.«
»Die Tatsache, dass John Chandler im Gegensatz zu Hester seinen Kunden kein Opium aufschwatzt, wiegt für mich schwerer als seine vernünftigen Preise. Trotzdem will ich nicht, dass du nach Cripplegate gehst. Wenn du das nächste Mal etwas brauchst, dann lass es von Pierre oder Françoise besorgen. Oder geh am besten zu dem Apotheker drei Häuser weiter auf der anderen Seite der Water Lane.«
»Mistress Field hat Madame gegenüber nicht erwähnt, dass es einen Apotheker in Blackfriars gibt. Vor ein paar Monaten kam es zwischen Monsieur de Laune und Jacqueline zu Meinungsverschiedenheiten, wie die eitrige Kehle ihres Sohnes zu behandeln sei«, murmelte Pierre zur Rechtfertigung.
»Selbst wenn Jacqueline und de Laune sich Schlag Mittag im Kirchenschiff von St. Paul’s zum Duell getroffen hätten: Ich will nicht, dass Diana quer durch die Stadt spaziert.«
»Nicht nur in Cripplegate drohen Gefahren«, sagte ich und schob ihm das Pamphlet über den deutschen Vampir zu. »Ich habe bei Chandler ein Werk über Heilmittel gegen die Syphilis und ein Buch über Tierfallen gekauft. Das hier stand auch zum Verkauf.«
»Was hast du gekauft?« Matthew hätte um ein Haar seinen Wein ausgespuckt und hatte den Blick fest auf das falsche Buch geheftet.
»Vergiss Hester. Dieses Pamphlet erzählt die Geschichte eines Mannes, der im Bund mit dem Teufel steht, sich in einen Wolf verwandeln kann und Blut trinkt. Einer der Männer, die es veröffentlicht haben, ist unser Nachbar, der Brauer neben Baynard’s Castle.« Ich tippte mit dem Finger auf das Pamphlet, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen.
Matthew zog die lose gebundenen Blätter zu sich her. Sein Atem stockte kurz, als er an die entscheidende Stelle kam. Er reichte die Schrift an Pierre weiter, der sie ebenfalls kurz studierte.
»Stubbe ist ein Vampir, nicht wahr?«
»Richtig. Ich wusste nicht, dass die Kunde von seinem Tod bis hierhergedrungen ist. Eigentlich soll Kit mir berichten, was an Neuigkeiten auf Handzetteln und Flugschriften verbreitet wird, damit wir nötigenfalls einschreiten können. Irgendwie muss ihm das hier entgangen sein.« Matthew warf Pierre einen grimmigen Blick zu. »Sieh zu, dass das in Zukunft jemand anderes übernimmt, aber sag Kit nichts davon.« Pierre neigte gehorsam den Kopf.
»Diese Werwolflegenden sind also
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