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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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immer noch nicht gewöhnt hatte – sah Matthew noch strenger aus als sonst.
    »Tut mir leid«, sagte ich schnell und wechselte dann das Thema. »Nächste Woche mischen wir eine neue Ladung prima materia an. Dazu braucht man Quecksilber, aber ich verspreche dir, dass ich es nicht anrühren werde. Mary will ausprobieren, ob es sich bis Ende Januar in die alchemistische Kröte zersetzt.«
    »Das klingt ja nach einem fröhlichen Start ins neue Jahr«, kommentierte Matthew und zog den Umhang über meinen Schultern gerade.
    »Was gab es draußen zu sehen?« Ich spähte aus dem Fenster.
    »Jemand will am Ufer gegenüber ein großes Feuer für die Silvesternacht aufbauen. Jedes Mal, wenn sie den Wagen losschicken, um frisches Holz zu holen, plündern die Einheimischen den bereits aufgerichteten Stapel. Er wird immer kleiner statt größer. Es ist, als würde man Penelope beim Weben zusehen.«
    »Mary hat erzählt, dass morgen niemand arbeitet. Ach ja, und sag Françoise, sie soll unbedingt mehr Manchettes kaufen – so heißen doch die kleinen Brote, oder? – als üblich und sie dann in Milch und Honig einweichen, damit sie zum Samstagsfrühstück schön weich sind.« So machte man arme Ritter im Zeitalter Elisabeths, als die meisten echten Ritter längst verarmt waren. »Ich glaube, Mary macht sich Sorgen, dass ich in einem Haus voller Vampire Hunger leiden könnte.«
    »Wenn es um nichtmenschliche Kreaturen und ihre Angewohnheiten geht, stellt sich Lady Pembroke am liebsten taub und stumm«, bemerkte Matthew.
    »Jedenfalls hat sie kein Wort mehr darüber verloren, was mit ihren Schuhen passiert ist«, stimmte ich ihm nachdenklich zu.
    »Mary Sidney überlebt, wie das früher schon ihrer Mutter gelungen ist: indem sie vor jeder unangenehmen Wahrheit die Augen verschließt. Den Frauen im Haus der Dudleys bleibt auch nichts anderes übrig.«
    »Der Dudleys?« Ich zog die Stirn in Falten. Diese Familie war dafür bekannt, immer nur Ärger zu machen – was gar nicht zu der sanftmütigen Mary passte.
    »Lady Pembrokes Mutter Mary Dudley war eine Freundin Ihrer Majestät und die Schwester von Robert Dudley, dem Favoriten der Königin.« Matthews Mundwinkel zuckten. »Sie war ein brillanter Geist, genau wie ihre Tochter. Nachdem unsere gesegnete Regentin sie mit Blattern angesteckt hatte, ignorierte Mary Dudley eisern, dass die Königin und ihr eigener Ehemann sich fortan lieber in trauter Zweisamkeit trafen, statt sich ihrem von Narben gezeichneten Gesicht zu stellen.«
    Ich blieb entsetzt stehen. »Was wurde aus ihr?«
    »Sie starb verbittert und allein, so wie die meisten Dudley-Frauen vor ihr. Ihr größter Triumph war es, ihre fünfzehnjährige Tochter mit dem vierzigjährigen Earl of Pembroke zu verheiraten.«
    »Mary Sidney wurde mit fünfzehn verheiratet?« Die kluge, lebenslustige Frau führte einen riesigen Haushalt, zog eine Horde energiegeladener Kinder groß und widmete sich mit Feuereifer ihren alchemistischen Experimenten, ohne dass sie das irgendwie anzustrengen schien. Jetzt verstand ich, wie sie das machte. Lady Pembroke war mit ihren dreißig Jahren ein paar Jahre jünger als ich, aber sie hatte all diese Verantwortungen schon ihr halbes Leben lang geschultert.
    »Ja. Aber Marys Mutter hatte ihr alles mitgegeben, was sie zum Überleben braucht: eiserne Disziplin, tiefes Pflichtgefühl, eine hervorragende Schulbildung, Liebe zur Poesie und die Leidenschaft für die Alchemie.«
    Ich legte die Hand auf mein Mieder und dachte an das Leben, das in mir heranwuchs. Was würde ich ihm mitgeben müssen, damit es in der Welt überlebte?
    Auf dem Heimweg unterhielten wir uns über Chemie. Matthew erklärte, dass die Kristalle, die Mary wie eine Henne auszubrüten versuchte, aus oxidiertem Eisenerz bestanden und später in einem Kolben destilliert würden, um Schwefelsäure herzustellen. Ich hatte mich immer mehr für die Symbolik der Alchemie interessiert als für deren naturwissenschaftliche Aspekte, aber mein Nachmittag mit der Countess of Pembroke hatte mir gezeigt, wie reizvoll die Verbindung zwischen beidem war.
    Bald waren wir sicher im Hart and Crown angelangt, und ich nippte an einem warmen Kräutertee mit Minze und Zitronenmelisse. Wie sich herausstellte, gab es zu Zeiten Elisabeths I. sehr wohl Tee, allerdings nur welchen aus Kräutern. Ich plauderte immer noch fröhlich über Mary, als ich Matthews Lächeln bemerkte.
    »Was ist so komisch?«
    »So habe ich dich noch nie erlebt«, sagte er.
    »Wie

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