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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Entdeckung zweier bis dato unbekannter elisabethanischer Miniaturen gelesen. Aber als er Sotheby’s erreicht hatte, waren sie bereits verkauft. Gallowglass war außer sich gewesen, weil er geglaubt hatte, sie könnten in falsche Hände geraten sein. Aber er hatte Ysabeau unterschätzt. Als er heute Morgen mit Marcus gesprochen hatte, hatte Matthews Sohn ihm bestätigt, dass sie sicher auf Ysabeaus Schreibtisch in Sept-Tours lagen. Mehr als vierhundert Jahre waren vergangen, seit Gallowglass die Bilder in einem Haus in Shropshire versteckt hatte. Er konnte es kaum erwarten, die beiden – und die beiden darauf dargestellten Wesen – wiederzusehen.
    Währenddessen bereitete er sich so wie sonst auch auf den nahenden Sturm vor: indem er so schnell und weit floh wie nur möglich. Früher hatte er die See und die Schienenwege bereist, inzwischen zog er die Straßen vor und raste mit dem Motorrad über so viele Bergpässe und durch so viele Haarnadelkurven wie nur möglich. Den Wind im ungekämmten Haar, die Lederjacke fest geschlossen, damit niemand merkte, dass seine Haut nie auch nur den Hauch von Bräune annahm, bereitete sich Gallowglass auf den Moment vor, an dem er sein vor langer Zeit gegebenes Versprechen einlösen musste, die de Clermonts zu verteidigen, was es ihn auch kosten mochte.
    »Gallowglass? Bist du noch dran?« Verins Stimme knisterte aus dem Handy und riss ihren Neffen aus seinen Gedanken.
    »Bin noch da, Tantchen.«
    »Wann fliegst du los?« Verin seufzte und ließ das Kinn in die Hand sinken. Sie brachte es noch nicht übers Herz, Ernst anzusehen. Den armen Ernst, der wissentlich eine Vampirin geheiratet und sich damit unwissentlich in eine komplexe, blutige Legende verstrickt hatte, die sich durch viele Jahrhunderte zog und schlängelte. Aber sie hatte es ihrem Vater versprochen, und auch wenn Philippe inzwischen tot war, so hatte Verin nicht die Absicht, ihn jetzt zum ersten Mal zu enttäuschen.
    »Ich habe Marcus gesagt, er soll mich übermorgen erwarten.« Gallowglass hätte genauso wenig zugegeben, wie froh er über die Entscheidung seiner Tante war, wie Verin zugegeben hätte, dass sie kurz überlegt hatte, ob sie ihr Versprechen nicht brechen sollte.
    »Dann treffen wir dich dort.« Damit hatte Verin Zeit, Ernst zu erklären, dass er unter das Dach ihrer Stiefmutter ziehen musste. Das würde ihm nicht gefallen.
    »Gute Reise, Tante Verin«, brachte Gallowglass noch heraus, bevor sie auflegte.
    Gallowglass steckte das Handy in die Tasche und starrte aufs Meer hinaus. Einmal war er nach einem Schiffbruch an diesem Abschnitt der australischen Küste gestrandet. Er mochte die Gegend. Er tastete nach seinen Zigaretten. Gallowglass rauchte, so wie er auch ohne Helm Motorrad fuhr, um dem Universum eine lange Nase dafür zu drehen, dass es ihm mit einer Hand Unsterblichkeit geschenkt und mit der anderen alles genommen hatte, was er liebte.
    »Und die nimmst du mir jetzt auch, oder?«, fragte er den Wind. Der seufzte zur Antwort. Matthew und Marcus waren strikt, was das Passivrauchen anging. Nur weil es sie nicht umbrachte, argumentierten sie, hieß das nicht, dass sie alle anderen damit auslöschen durften.
    »Wovon sollen wir uns denn ernähren, wenn wir alle umbringen?«, hatte Marcus mit unwiderlegbarer Logik vorgebracht. Ein seltsamer Gedankengang für einen Vampir, aber dafür war Marcus bekannt, und Matthew war nicht viel besser. Gallowglass schrieb diese Neigung ihrer allzu umfassenden Ausbildung zu.
    Er rauchte seine Zigarette fertig und zog einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche. Er enthielt vierundzwanzig Scheiben, die einen Durchmesser von gut zwei Zentimetern hatten und einen halben Zentimeter dick waren. Sie waren aus einem Ast geschnitten, den er in der Nähe des Wohnsitzes seiner Ahnen von einer Esche gebrochen hatte. Sie trugen jeweils ein eingebranntes Zeichen, das Alphabet einer Sprache, die längst nicht mehr gesprochen wurde.
    Er hatte schon immer einen gesunden Respekt vor der Magie gehabt, lange bevor er Diana Bishop begegnet war. Auf dieser Erde und über die Meere herrschten Kräfte, die kein Wesen verstand, und Gallowglass war klug genug, sich taub und blind zu stellen, wenn sie am Werk waren. Aber den Runen konnte er nicht widerstehen. Sie halfen ihm, die tückischen Gewässer seines Schicksals zu bezwingen.
    Er tauchte seine Finger in die glatten Holzscheiben und ließ sie über seine Hand rinnen. Er wollte wissen, wie die Sterne standen – waren sie den de Clermonts

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