Wo die Nacht beginnt
der Zukunft leichter zu finden sein als hier.« Nachdem ich wusste, wonach ich suchte, würden mir moderne Suchmaschinen und Bibliothekskataloge die Arbeit erheblich erleichtern.
»Vorausgesetzt, die Seiten wurden nicht vernichtet«, schränkte Matthew ein. »Wenn das passiert ist …«
»Dann werden wir nie sämtliche Geheimnisse dieses Buches erfahren. Dennoch könnte dein Labor uns vieles über das verraten, was wir noch in der Hand haben. Vielleicht sogar mehr, als wir erhofft haben, bevor wir hierherkamen.«
»Du willst also zurückkehren?«, fragte Matthew. In seinem Blick glühte kurz etwas auf. Er erstickte es sofort. War es Vorfreude? Angst?
Ich nickte. »Es wird Zeit.«
Im Feuerschein der Scheiterhaufen flüchteten wir aus Prag. Die anderen Kreaturen versteckten sich während der Walpurgisnacht, denn niemand wollte selbst auf dem Scheiterhaufen landen.
Die eisigen Gewässer der Nordsee waren endlich wieder schiffbar, und das frühlingshafte Tauwetter hatte auch in den Häfen das Eis aufgebrochen. Überall legten Schiffe nach England ab, sodass wir ohne Verzögerung übersetzen konnten. Dennoch schüttelte uns ein Sturm durch, sobald wir die Küste hinter uns ließen.
In unserer Kabine unter Decke, stand Matthew über das Buch gebeugt da. Er hatte entdeckt, dass es mit langen Haaren zusammengenäht worden war.
»Dieu«, murmelte er. » Wie viele genetische Informationen mag dieses Ding nur enthalten?« Ehe ich ihm Einhalt gebieten konnte, berührte er mit seinem kleinen Finger die Zungenspitze und dann einen der Blutstropfen, die auf der ersten noch vorhandenen Seite aus den Haaren des Babys regneten.
»Matthew!«, rief ich entsetzt.
»Genau wie ich dachte. Die Tinte enthält Blut. Ich würde darauf wetten, dass das goldene und silberne Blatt auf diesen Illustrationen mit Knochenleim verklebt wurden. Einem Leim aus Knochen von Kreaturen.«
Das Boot schwappte nach Lee, und mein Magen bekam ebenfalls Schlagseite. Als ich meine Übelkeit endlich niedergekämpft hatte, hielt Matthew mich in den Armen. Das Buch lag zwischen uns, halb geöffnet, und die Textzeilen versuchten panisch, ihren Platz zu finden.
»Was haben wir getan?«, flüsterte ich.
»Wir haben den Baum des Lebens und das Buch des Lebens in einem gefunden.« Matthew legte die Wange auf mein Haar.
»Als Peter Knox mir erklärte, das Buch enthalte alle ursprünglichen Zaubersprüche, erklärte ich ihn für verrückt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand so töricht sein könnte, so viel Wissen an einem Ort zu versammeln.« Ich berührte das Buch. »Aber dieses Buch enthält so viel mehr – dabei wissen wir noch nicht einmal, worum es im Text geht. Wenn dieses Werk in unserer Zeit in die falschen Hände fallen sollte …«
»Könnte es dazu benutzt werden, uns alle auszulöschen«, beendete Matthew den Satz.
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm auf. »Was sollen wir jetzt damit machen? Sollen wir es mit uns in die Zukunft nehmen oder hierlassen?«
»Ich weiß es nicht, mon cœur .« Er umarmte mich und schirmte mich dabei gegen das Tosen des Sturmes ab, der den Schiffsrumpf peitschte.
»Aber dieses Buch könnte den Schlüssel zu all unseren Fragen enthalten.« Es überraschte mich, dass Matthew sich vorstellen konnte, das Buch zurückzulassen, obwohl er jetzt wusste, was es enthielt.
»Nicht alle«, sagte er. »Eine Frage kannst nur du beantworten.«
»Und welche?« Ich sah ihn zweifelnd an.
»Bist du seekrank oder wieder schwanger?« Matthews Augen waren schwer und stürmisch wie die See, und auch in ihnen schien es zu blitzen.
»Das würdest du noch vor mir wissen.« Wir hatten uns erst vor wenigen Tagen wieder geliebt, kurz nachdem ich festgestellt hatte, dass meine Regel auf sich warten ließ.
»Ich habe das Kind nicht in deinem Blut gesehen oder in deinem Herzen gehört – noch nicht. Dafür habe ich gemerkt, dass sich dein Duft verändert hat. Der Geruch ist mir vom letzten Mal vertraut. Du kannst höchstens seit ein paar Wochen schwanger sein.«
»Ich hätte gedacht, wenn ich schwanger bin, würdest du das Buch um jeden Preis behalten wollten.«
»Vielleicht müssen meine Fragen nicht so dringend beantwortet werden, wie ich dachte.« Wie um das zu beweisen, legte Matthew das Buch auf den Boden, wo es nicht mehr zu sehen war. »Ich dachte, es würde mir verraten, wer ich bin und warum ich hier bin. Aber vielleicht weiß ich das bereits.«
Ich wartete auf eine Erklärung.
»Nach langer Suche habe ich
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