Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
Vom Netzwerk:
entdeckt, dass ich genau der bin, der ich seit jeher war: Matthew de Clermont. Ehemann. Vater. Vampir. Und ich bin nur aus einem einzigen Grund hier: um etwas zu bewirken.«

33
    P eter Knox versuchte die Pfützen im Hof des Strahover Klosters in Prag zu umgehen. Er war auf seiner jährlichen Frühjahrsrunde durch die Bibliotheken Mittel- und Osteuropas. Bevor die Länder wie jedes Jahr von Touristen und Gelehrten überschwemmt wurden, fuhr Knox von einer Schriftensammlung zur nächsten und überzeugte sich mit eigenen Augen, dass in den vergangenen zwölf Monaten nichts aufgetaucht war, was der Kongregation – oder ihm – Ärger bereiten konnte. In jeder Bibliothek saß ein Informant, dem er vertraute, ein Angestellter, der mächtig genug war, um auf alle Bücher und Manuskripte zugreifen zu können, andererseits aber nicht so hoch in der Hierarchie stand, dass er später Rede und Antwort stehen musste, wenn Bibliotheksschätze einfach so … verschwanden.
    Knox stattete den Bibliotheken diese regelmäßigen Besuche ab, seit er seinen Doktor gemacht und angefangen hatte, für die Kongregation zu arbeiten. Vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart hatte sich vieles verändert, selbst die Verwaltungsstrukturen der Kongregation waren den Zeiten angepasst worden. Seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert erlaubten Züge und Straßen eine neue Art der Verwaltungsführung, bei der nicht mehr nach geographischen Kriterien vorgegangen wurde, sondern jede Spezies die ihr zugehörigen Kreaturen überwachte. Das erforderte viele Reisen und Briefwechsel, die im Zeitalter der Dampfmaschinen möglich geworden waren. Philippe de Clermont hatte einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung der Kongregation geleistet, allerdings hegte Knox seit Langem den Verdacht, dass er dabei weniger den Fortschritt fördern als die Geheimnisse der Vampire schützen wollte.
    Dann hatten die beiden Weltkriege die Kommunikations- und Transportwege zerschnitten, und die Kongregation war zu den alten Methoden zurückgekehrt. Es war praktischer, den Globus in Scheiben zu zerteilen, als ihn kreuz und quer nach einem bestimmten Individuum zu durchsuchen, dem Fehlverhalten vorgeworfen worden war. Solange Philippe am Leben gewesen war, hätte niemand einen derart radikalen Wechsel vorzuschlagen gewagt. Glücklicherweise konnte das ehemalige Oberhaupt der Familie de Clermont sich nicht mehr dagegen sträuben. Inzwischen machten Internet und E-Mail Reisen wie diese im Grunde überflüssig, aber Knox hatte einen Hang zum Traditionellen.
    Knox’ Maulwurf in der Strahover Bibliothek war ein Mann mittleren Alters namens Pavel Skovajsa. Er war auffällig gebräunt, fast wie stockfleckiges Papier, und trug eine Brille aus der kommunistischen Ära, die er auf keinen Fall ersetzen wollte, wobei schwer zu sagen war, ob er sich aus historischen oder sentimentalen Gründen dagegen wehrte. Gewöhnlich trafen sich die beiden Männer in der Klosterbrauerei, in der glänzende Kupferkessel standen und ein exzellentes Braunbier serviert wurde, benannt nach St. Norbert, dessen irdische Überreste in der Nähe beigesetzt waren.
    Aber dieses Jahr hatte Skovajsa tatsächlich etwas gefunden.
    »Es ist ein Brief. Auf Hebräisch«, hatte Skovajsa ins Telefon geflüstert. Er misstraute den neuen Technologien, besaß kein Handy und verabscheute E-Mails. Darum beschäftigte man ihn in der Restaurierungsabteilung, wo er mit seiner tief sitzenden Abneigung gegen jeden Fortschritt den langsamen Aufbruch der Bibliothek in Richtung Moderne möglichst wenig aufhalten konnte.
    »Wieso flüstern Sie, Pavel?«, hatte Knox irritiert gefragt. Das einzige Problem bei Skovajsa war, dass er sich gern als letzten aufrechten Spion des Kalten Krieges sah. Infolgedessen neigte er zu Paranoia.
    »Weil ich ein Buch auseinandernehmen musste, um an den Brief zu kommen. Jemand hatte ihn im Einband einer Ausgabe von Johannes Reuchlins De Arte Cabalistica versteckt«, erklärte Skovajsa deutlich aufgeregter. Knox sah auf die Uhr. Es war so früh, dass er noch keinen Kaffee getrunken hatte. »Sie müssen sofort herkommen. In dem Brief geht es um Alchemie und diesen Engländer, der für Rudolf II. gearbeitet hatte. Es könnte etwas Wichtiges sein.«
    Knox hatte Berlin mit der nächsten Maschine verlassen, und jetzt hatte ihn Skovajsa in einen schmuddeligen Raum im Keller der Bibliothek gezerrt, der von einer einsamen nackten Glühbirne erhellt wurde.
    »Können wir die Sache nicht an einem

Weitere Kostenlose Bücher