Wo die Nacht beginnt
übersetzten die Frage für die Übrigen.
» Mais il est debout«, protestierte Thomas und deutete dabei auf Matthew. Dass Matthew sich aufgerichtet hatte, machte Philippe rückgängig, indem er seinen Sohn mit einem dumpfen Schlag erneut auf den Boden schickte.
»Wer steht für Madame ein?«, wiederholte Philippe, einen Stiefel sicherheitshalber auf Matthews Hals.
» Je vais.« Als Erste meldete sich Catrine, meine dämonische Assistentin und Zofe.
» Et moi« , piepste Jehanne, die, obwohl sie älter war, stets dem Beispiel ihrer Schwester folgte.
Nachdem die Mädchen mir ihre Treue gelobt hatten, warfen sich auch Thomas und Étienne für mich in die Bresche, genauso wie der Schmied und der Koch, der mit einem Korb voller getrockneter Bohnen in der Scheune erschienen war. Nach einem drohenden Blick auf seine Leute erklärten auch sie sich widerwillig bereit.
»Die Feinde von Madame werden ohne Vorwarnung zuschlagen.Catrine und Jehanne werden sie ablenken. Thomas wird sie belügen.« Die Erwachsenen kicherten wissend. »Étienne, du musst loslaufen und Hilfe holen, am besten bei Milord. Und du weißt selbst, was du zu tun hast.« Philippe warf Matthew einen grimmigen Blick zu.
»Und was tue ich?«, fragte ich.
»Du denkst nach, so wie heute. Du überlegst – und überlebst dadurch.« Philippe klatschte in die Hände. »Genug der Unterhaltung. Zurück an die Arbeit.«
Unter gutmütigem Murren verschwanden die in der Scheune Versammelten nach draußen, um sich wieder ihren Pflichten zu widmen. Mit einem kurzen Kopfnicken schickte Philippe auch Alain und Pierre hinaus. Philippe folgte ihnen und zog noch im Hinausgehen das Hemd aus. Zu meiner Überraschung kehrte er gleich darauf zurück und ließ das zusammengeknüllte Kleidungsstück vor meine Füße fallen. In dem Stoff lag ein Klumpen Schnee.
»Kümmere dich um die Wunde an seinem Bein und um die über der Niere, denn die ist tiefer, als ich mir gewünscht hätte«, wies Philippe mich an. Dann war auch er verschwunden.
Matthew wuchtete sich auf die Knie hoch und begann zu zittern. Ich packte ihn um die Taille und legte ihn behutsam wieder auf den Boden. Matthew versuchte sich aus meinem Griff zu befreien und mich stattdessen in seine Arme zu ziehen.
»Nein, du sturer Bock«, sagte ich. »Ich brauche keinen Trost. Lass ein einziges Mal zu, dass ich mich um dich kümmere.«
Ich untersuchte die Wunden, angefangen bei jenen, auf die Philippe mich hingewiesen hatte. Mit Matthews Hilfe zupfte ich den zerfetzten Beinling aus der Wunde an seinem Schenkel. Der Dolch war tief eingedrungen, doch dank der heilenden Eigenschaften des Vampirblutes schloss sich der Schnitt schon wieder. Ich packte trotzdem Schnee darauf – Matthew versicherte mir, dass es helfen würde, obwohl sein erschöpftes Fleisch kaum wärmer war. Die Wunde an seiner Niere heilte ähnlich schnell, obwohl ich mitleidig das Gesicht verzog, als ich den sie umgebenden Bluterguss bemerkte.
»Ich glaube, du wirst das überleben«, sagte ich und presste einen letzten Eispacken auf seine linke Flanke. Dann strich ich ihm das Haar aus der Stirn. Ein paar schwarze Strähnen hatten sich in einem klebrigem Fleck von getrocknetem Blut über seinem Auge verfangen. Vorsichtig zog ich sie heraus.
»Danke, mon cœur. Würde es dich stören, wenn ich dir den Gefallen erwidere und Philippes Blut von deiner Stirn wische, sobald du mich fertig gesäubert hast?« Matthew sah mich betreten an. »Der Geruch schlägt mir in die Nase. Ich mag ihn nicht an dir.«
Er hatte Angst, dass der Blutrausch wieder aufflammen könnte. Ich rieb mir über die Haut und betrachtete dann meine schwarzrot gefärbten Fingerspitzen. »Bestimmt sehe ich aus wie eine Heidenpriesterin.«
»Noch mehr als sonst.« Matthew nahm etwas von dem Schnee auf seinem Schenkel und wischte damit und mit dem Saum seines Hemdes die letzten Spuren meiner Adoption ab.
»Erzähl mir von Benjamin«, bat ich ihn, während er über mein Gesicht rieb.
»Ich machte Benjamin in Jerusalem zum Vampir. Ich gab ihm mein Blut, weil ich sein Leben retten wollte. Aber dabei raubte ich ihm den Verstand. Und seine Seele.«
»Er hat eine Tendenz zu Zornesausbrüchen?«
»Tendenz? Bei dir klingt das, als hätte er Bluthochdruck.« Matthew schüttelte verwundert den Kopf. »Komm mit. Wenn du noch länger in der Kälte bleibst, holst du dir den Tod.«
Langsam und Hand in Hand kehrten wir zum Château zurück. Ausnahmsweise kümmerte es uns nicht, wer uns sah und was
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