Wo die Nelkenbaeume bluehen
Annemarie, dass sie die ganze Zeit blicklos vor sich hingestarrt hatte. „Geht es dir nicht gut? Du bist ja kreidebleich!“
Annemarie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen und kämpfte gegen die Übelkeit an, die in kleinen Wellen durch ihren Körper rollte. „Es geht schon. Ich habe in letzter Zeit häufig Probleme mit dem Kreislauf. Vermutlich habe ich mich einfach immer noch nicht richtig an das hiesige Klima gewöhnt.“
„Oder du bist in anderen Umständen“, entgegnete Celia mit einem gleichzeitig neckenden und fragenden Blick. „Dein Albrecht würde sich sicher über einen kleinen Stammhalter freuen, meinst du nicht?“
Annemarie hatte mit einem Mal das Gefühl, als würde ihr das Blut in den Adern gefrieren. Schwanger? Nein, unmöglich! Doch es stimmte, dass sie sich in den letzten Wochen häufig nicht ganz wohl fühlte; vor allem in den Morgenstunden.
Oh nein, oh nein, oh nein!
Nicht dass Albrecht zu Beginn ihrer Ehe nicht versucht hätte, mit ihr einen Erben zu zeugen. Doch in den letzten Monaten hatte er sie nicht mehr in ihrem Bett aufgesucht, wofür Annemarie dem Himmel gedankt hatte. Was bedeutete, dass als Vater eines möglichen Kindes nur ein Mann in Frage kam.
Nathan.
Als sie spürte, wie ihr schwindelig wurde, schloss sie die Augen und zwang sich, tief und ruhig durchzuatmen. Sollte Celia ruhig denken, was sie wollte. Es kümmerte Annemarie nicht. Ihre oberste Priorität war es jetzt, nicht die Nerven zu verlieren. Rasch rechnete sie zurück. Wann hatte sie zum letzten Mal …?
„Du bist in anderen Umständen, habe ich recht?“ Celia klatschte begeistert in die Hände. „Oh, ich beneide dich so, Annemie! Wenn Jonathan und ich doch auch endlich … Aber bei uns will es nicht so recht klappen.“
„Du musst Geduld haben“, reagierte Annemarie mit einer Plattitüde, die ihr wie von selbst über die Lippen kam. Überhaupt fühlte es sich so an, als habe jemand anderes die Kontrolle über ihre Handlungen, über ihren Körper übernommen. Ein Teil von ihr selbst womöglich, der nur dann zum Vorschein kam, wenn er gebraucht wurde. So wie jetzt, wo Annemarie weiter funktionieren musste, obwohl sie mit dem Kopf ganz woanders war.
Was würde geschehen, wenn sie wirklich in anderen Umständen war? Wenn sie ein Kind von Nathan erwartete? Was für eine Närrin war sie gewesen, diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht zu ziehen! Das würde alles verändern. Alles!
Sie konnte nicht länger unter Albrechts Dach bleiben, so viel stand fest. Man konnte ihm viele Schwächen ankreiden, aber dumm war er nicht. Er würde sofort Bescheid wissen – und dann wäre sie ihres Lebens nicht mehr sicher.
Sie atmete tief durch. Sie musste mit Nathan reden. Er würde Rat wissen.
Hunderte, Tausende Gedanken ließen ihren Kopf schwirren und machten es ihr schwer, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Doch genau das musste sie, denn es stand weit mehr auf dem Spiel als nur ihr eigenes Schicksal. Es ging auch um Henriette und um die beiden Flüchtlinge, die auf sie zählten.
„Sei mir bitte nicht böse“, sagte sie schließlich, „aber ich würde jetzt gern aufbrechen.“
Celia zwinkerte ihr verschwörerisch vor. „Das kann ich natürlich verstehen“, sagte sie. „Sei doch so gut und richte Albrecht unsere herzlichsten Glückwünsche aus, ja?“
„Das werde ich.“ Annemarie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft nahm, die Fassung zu bewahren.
Doch irgendwie gelang es ihr.
Versonnen schaute Celia Annemaries Kutsche nach, bis diese am Ende der Auffahrt vom dichten Blattwerk der Bäume, die den Weg säumten, verschluckt wurde. Dann fasste sie rasch einen Entschluss, winkte einen der Sklaven herbei, die in der Nähe ihre Arbeit verrichteten, und wies ihn an, ihr Pferd satteln zu lassen.
Etwas an der Art, wie Annemarie auf die Möglichkeit reagiert hatte, schwanger zu sein, hatte Celias Misstrauen erregt. Sie vermutete schon länger, dass ihre ehemalige Reisegefährtin sie nicht so oft besuchte, weil sie sie besonders ins Herz geschlossen hatte. Und da sie aus sicherer Quelle wusste – Jonathan hatte praktisch überall seine Spitzel –, dass die Ehe mit Albrecht Rosenthal alles andere als glücklich war, hegte sie den Verdacht, dass vielleicht ein anderer Mann dahintersteckte.
Ein Mann, mit dem sie sich traf, wenn sie von ihren Besuchen bei Celia zurückkehrte.
Der Vater ihres Kindes?
Celia zweifelte nicht daran, dass Annemarie schwanger war, und der Gedanke steckte wie ein Stachel
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