Wo die Nelkenbaeume bluehen
hätte nicht Huriyeh plötzlich etwas zu ihnen gesagt – vielleicht hätte er Lena dann an sich gezogen und geküsst.
Geküsst? Hatte er den Verstand verloren? Das war doch Wahnsinn! Er hatte sie schon einmal geküsst und sich danach geschworen, es nie wieder zu tun.
Und daran sollte er sich besser auch halten.
„Es wird Zeit“, sagte er und wandte sich abrupt ab. „Ich habe gleich noch eine Verabredung. Wir sollten uns jetzt besser wieder auf den Weg machen.“
Lena blinzelte, nickte dann aber.
Die Verabschiedung von Huriyeh verlief recht überstürzt. Es tat Stephen leid, doch es erschien ihm besser, ganz schnell die Notbremse zu ziehen. Schlimm genug, dass er Lena noch mit dem Boot raus bis zur Farm fahren musste, aber das ließ sich nicht vermeiden.
Es wurde bereits dunkel, als sie den Strand erreichten, der an das Grundstück der Bennett-Farm grenzte. Der Himmel am Horizont glühte in einem feurigen Rot, dort wo die Sonne im Begriff stand, wie ein lodernder Ball aus Glut im Meer zu versinken. Das Rot ging über in leuchtendes Orange, ehe es zu einem zarten Pastellrosé zerfaserte und sich anschließend mit dem Schwarzblau des Abendhimmels vereinte, an dem Millionen und Abermillionen von Sternen glitzerten.
Stephen steuerte das Boot so nah wie möglich an den Strand heran, ehe er den Motor abstellte, den Anker setzte und mit einem lässigen Sprung über die Bordwand hinwegsetzte. Das Wasser reichte ihm bis zur Taille, doch schon in ein paar Stunden würde es allerhöchstens noch knöcheltief sein. Deutlich spürte er den Sog der einsetzenden Ebbe.
„Komm“, sagte er und streckte Lena die Arme entgegen.
„Ich schaffe das schon allein“, entgegnete sie.
Seufzend zuckte Stephen die Achseln. „Ganz wie du willst.“
Über die Leiter kletterte Lena von Bord. Sie ließ sich von der letzten Sprosse ins Wasser gleiten und schnappte erstaunt nach Luft – es stand ihr fast bis zu den Schultern.
Stephen war sofort bei ihr und hielt sie fest, als eine Welle sie wegzutragen drohte. Die Hitze ihres Körpers bildete einen scharfen Kontrast zur Kühle des Wassers, und für einen Moment stockte Stephen der Atem.
Sie standen einfach da, Arm in Arm. Er spürte, wie ihr Herz pochte. Sie blickte zu ihm auf. Ihre Brust hob und senkte sich hastig.
Und dann beugte er sich zu ihr herab und verschloss ihren Mund mit seinen Lippen.
Lena hatte das Gefühl, die Besinnung zu verlieren.
Das war alles so unwirklich. Die Sterne, die über ihnen am Himmel funkelten, der Mond, der den Strand in silbrigen Glanz tauchte, das Rauschen der Brandung und die Rufe der Buschbabys. Und dann Stephens Nähe! Sie hatte die Hände auf seine Brust gelegt und spürte das Spiel seiner Muskeln durch den nassen Stoff seines T-Shirts. Ihre eigene Bluse klebte ihr am Körper wie eine zweite Haut, doch das alles nahm sie nur ganz am Rande wahr. Denn all ihre Sinne waren auf seinen Kuss ausgerichtet.
Ihr rationales Denken war ausgeschaltet, sie fühlte nur noch. Und was waren das für Gefühle! Wie eine Flutwelle waren sie über sie hinweggerollt und hatten alle Schutzwälle, die sie in ihrem Inneren errichtet hatte, davongerissen.
Nach kurzem Zögern erwiderte sie seinen Kuss leidenschaftlich. Sie schob die Hände in sein Haar und schmiegte sich an ihn. Hitze pulsierte durch ihren Körper, während die Brandung sie schäumend umspülte. In ihrem Kopf drehte sich alles. Ihr Atem ging schwer, und als Stephen zärtlich ihren Hals küsste, war ihr, als würde sie innerlich zerfließen. Sie vergaß alles um sich herum. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, und ihr Puls raste.
Da erklang plötzlich ein Geräusch von irgendwoher. Lena wusste nicht einmal, um was für ein Geräusch es sich handelte und woher es kam. Aber es genügte, um sie aus der Trance, in der sie sich eben befunden hatte, herauszureißen.
Abrupt machte sie sich von Stephen los. „Das hätten wir nicht tun dürfen!“, stieß sie atemlos hervor.
Sie dachte an Andy und schämte sich. Er war die Liebe ihres Lebens gewesen! Wie konnte sie sich, nur ein halbes Jahr nach seinem Tod, so schamlos einem anderen Mann an den Hals werfen?
„Lena, warte …!“ Stephen streckte die Hand nach ihr aus, doch Lena wich zurück. Dann drehte sie sich um und lief, so schnell es ihr angesichts der Strömung gelang, zurück an den Strand.
Durch einen Vorhang aus Tränen konnte sie den warmen Sand kaum sehen, über den sie rannte. Fast blind stolperte sie in den Wald, und es war mehr Zufall, dass
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