Wo die Toten ruhen - Psychothriller
sehen«, sagte Kat und lächelte. »Es ist lange her.«
»Ich freue mich auch. Es tut so gut, dich zu sehen, Kat. Ich kann es gar nicht fassen.«
»Wir haben uns zusammengetan, um dich zu suchen.«
Leighs Augen füllten sich mit Tränen. »Das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, ihr hasst mich beide.«
»Ich habe dich nie gehasst, Leigh«, sagte Kat. »Geht es dir gut?«
»Nicht so richtig. Ich meine, ich bin nicht krank, falls du das meinst. Aber eine ganze Weile habe ich gedacht, ich komme nicht zurück. Habe keinen Ausweg mehr gesehen. Brauchte Zeit.«
»Mir ist inzwischen scheißegal, was mit Martin gewesen ist«, sagte Ray. »Du musst nicht vor mir weglaufen, Leigh. Und ich schwöre, ich werde dir nie mehr wehtun. Es tut mir leid, dass ich dir neulich in der Nacht Angst gemacht habe …«
»O Schatz. Natürlich tust du mir nicht weh! Ich bin nicht wegen Martin weggegangen. Ich bin nicht weggegangen, weil du mir böse warst.« Als Ray wieder das Wort ergreifen wollte, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen.
An der Decke drehte sich der Ventilator. Kat lief es kalt über den Rücken.
»Warte. Ich erkläre es dir. Lass mich nur einen Augenblick zur Ruhe kommen. Bitte halt mich. Ganz fest.«
»Sag mir eins«, murmelte Ray. »Sag mir, dass du wieder zu mir nach Hause kommst.«
Kat war irritiert davon, wie Leigh ihren Mann ansah und ihm dann ihre Hand auf die Schulter legte - wie eine Göttin, die einen reuigen Sünder tröstet - liebevoll und … wie? Mitleidig?
»Du hast einen weiten Weg zurückgelegt, um mich zu finden. Ich hoffe … ich bete darum, dass du es nicht bereust«, sagte Leigh.
»Niemals«, sagte Ray. »Komm mit uns nach Hause.«
»Ich muss es erklären, aber ich habe Angst.«
Es entstand eine Pause, in der niemand etwas sagte. Kat erhob sich abrupt.
»Bitte entschuldigt. Meine Güte - ich weiß gar nicht, wo meine gute Erziehung geblieben ist. Ich lasse euch beide jetzt mal allein, in Ordnung? Dann könnt ihr euch alles erzählen. Ich gehe eine Runde schwimmen oder so.«
»Geh nicht«, sagte Leigh entschieden. »Wir haben alle zu viele Geheimnisse bewahrt. Damit ist jetzt Schluss. Fahren wir einfach. Ich erzähle euch dann alles. Ich habe so viel zu erzählen, aber zuerst müssen wir packen und sehen, dass wir wegkommen. Ich will nach Hause.«
Sie nahm Kat in den Arm und hielt sie lange fest. »Du hast dich kein bisschen verändert. Du bist so stürmisch wie immer.« Die Frechheit von früher blitzte auf, und sie streichelte Kat sanft über die Wange. »Es geht ganz schnell«, sagte sie, riss sämtliche Schubladen auf und warf Kleider in ihren Koffer.
Sie checkten aus. Ray schob dem Mann am Empfang einen Hundert-Dollar-Schein zu, was bewirkte, dass der Latino diensteifrig den Namen seines Bruders nannte, der Leighs Minivan nach L. A. zurückfahren würde. Er nahm Rays Geld und die Autoschlüssel entgegen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem kleinen Fernseher im hinteren Teil des Büros zu - als dürfe er die eben ausgestrahlte Pizzawerbung nicht versäumen.
Als sie die Tür öffneten, um zu gehen, sagte der Mann schließlich, den Blick immer noch auf den Fernseher geheftet:
»Dann haben Sie alle hier das gefunden, was Sie gesucht haben?«
Sie nickten.
»Und ich bleibe hier und vergnüge mich mit Steppenläufern, alten Leuten und der Autobahnpolizei - ab und zu.« Er kicherte rau. »Alsdann, hasta luego !«
»Der kommt mir vor, als wäre er hier ausgesetzt worden «, sagte Kat, als sie über den Parkplatz gingen. »Jede Wette, dass der hier hängen geblieben ist, weil seinen alten Eltern dieses heruntergekommene Motel gehörte. Er hat es aufgemotzt und in ein paar einschlägigen Zeitschriften inseriert. Sämtliche Neuigkeiten erfährt er von denen, die hier vorbeikommen.«
»Du machst das immer noch«, sagte Leigh. »Dir solche Geschichten über die Leute ausdenken. Oh, wie ist das schön, dich zu sehen, Kiddo.«
»Setz dich mit Ray nach hinten«, sagte Kat. »Ich chauffiere euch.« Sie hätte eigentlich sterben müssen vor Neugier, aber dem war nicht so. Es war ihr egal, warum Leigh weggegangen war. Ihr war nur wichtig, dass sie lebte und sie alle eine neue Chance bekamen.
Vielleicht wollte ein Teil von ihr auch einfach nur, dass dieser Augenblick in der Erinnerung strahlend und ungetrübt bleiben konnte. Ray und Leigh hielten einander in den Armen, und sie spürte sowohl Rays überwältigende Freude als auch Leighs tiefe Erleichterung darüber, dass sie sie
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