Wo die Toten ruhen - Psychothriller
Bruder gestohlen. Wusste Ray Jackson das? Vielleicht nicht.
»Wie es scheint, nicht in letzter Zeit.«
»Nein.«
»Warum haben Sie angerufen? Warum tauchen Sie aus heiterem Himmel hier vor meinem Haus auf?«
Sie spürte, dass sie rot wurde, denn so leicht ließ sich das nicht beantworten. »Meine Schwester hat einen Artikel über ein Projekt gelesen, an dem Sie gerade arbeiten, und wir kamen auf Leigh zu sprechen. Ich möchte sie einfach nur sehen. Und ich habe heute Abend wirklich kein Glück?«
»Nein.«
»Zu schade.«
»Es tut mir leid.« Er entspannte sich ein wenig.
»Kann ich ihr eine Notiz hinterlassen?«
»Wenn Sie möchten.«
»Ich möchte es nur hinter mich bringen. Jacki überredet mich immer zu so was …«
»Was wollen Sie hinter sich bringen?«
Verdutzt merkte sie, dass sie laut gedacht hatte. »Leigh zu sehen. Es steht etwas zwischen uns. Eine alte Geschichte. Ich bin zu dem Schluss gekommen, wie eine Erwachsene damit umzugehen und mich meinen Dämonen zu stellen.«
»Sie bezeichnen meine Frau als Dämon?«
»Was? Oh.« Natürlich nahm er sie nur ein wenig auf den Arm, obwohl er nicht besonders amüsiert wirkte.
»Was ist das für eine Sache?« Jackson stellte die Lamellen der Jalousien vor dem Fenster mit Blick auf den Pazifischen Ozean schräg, sodass der Sonnenuntergang sie nicht gänzlich blendete. »Ihre alte Geschichte mit Leigh?«
»Eine ungeklärte Angelegenheit.«
»Sie klingen nicht überzeugt.«
»Es ist kompliziert.« Doch sie war es immer schnell satt, diskret zu sein. Herauszuplatzen, das war eher ihre Art. Ein weiteres buddhistisches Prinzip lautete jedoch: Hüte deine Zunge. Kein überflüssiges Geschwätz.
»Wir waren die besten Freundinnen.«
»Sie hat von Ihnen gesprochen«, sagte er. Der orangegoldene Schimmer des Sonnenuntergangs, der durch die Lamellen der Jalousie drang, umrandete seine Silhouette wie ein Heiligenschein.
»Tatsächlich?«
»Sagte manchmal, Sie stünden jemandem zu nah, um befreundet zu bleiben. Was glauben Sie, was sie damit gemeint hat?«
»Sie wusste, dass ich mit fünfzehn dachte, ich sei zu fett, und dass ich mir den Finger in den Hals gesteckt habe, wenn ich zu viel gegessen hatte«, sagte Kat verunsichert. »Ich wusste, dass sie morgens dem Hund ihre Hafergrütze vorsetzte, obwohl er davon die Scheißerei bekam, was ihre Eltern wahnsinnig machte. Ihre Mutter hatte einen echten Putzfimmel.« Sie stellte ihre Tasche auf den marmornen Halbmondtisch und versuchte sich vorzustellen, dass Leigh so lebte, in einer so perfekten Umgebung. Die Leigh, die sie kannte, ließ Sachen einfach irgendwo fallen und gedieh in kreativem Chaos.
»Ich finde Sie nicht fett«, sagte er.
»Ähm, danke«, sagte sie. Er flirtete nicht unbedingt mit ihr, aber dieser Typ brauchte nur die tadellose Reihe kieferorthopädisch gerichteter Zähne aufblitzen zu lassen, und jede Frau hatte das Gefühl, der Wind knöpfe ihr die Bluse auf. Da sie ihm nicht - genauso wenig wie sich selbst - irgendwelche Flausen in den Kopf setzen wollte, sank sie in sich zusammen und zog die Brust ein wenig ein.
»Dann sind Sie also Kat. Leigh hat mir erzählt, Sie seien einfach aus ihrem Leben verschwunden«, sagte er. »Sie hat mir erzählt, dass sie Sie vermisst. Hat Sie ihr dunkles Geheimnis genannt. Was denken Sie, was sie damit gemeint hat?«
»Keine Ahnung«, log Kat.
»Wie lange ist es her, dass Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen haben?«
»Sechs Jahre.«
»Das ist eine lange Zeit. Dazwischen nicht?«
»Nein.« Sie konnte nicht sagen, ob er erleichtert oder enttäuscht darüber war.
»Das entspricht genau der Zeit, die wir zusammen sind«, fuhr er fort. Er drückte auf einen Knopf an der Wand. Eine Mahagonivertäfelung hob sich und gab eine verspiegelte Bar frei.
»Hübsch«, sagte Kat. »Modern. Leigh hat von Ihnen gesprochen, bevor wir uns aus den Augen verloren haben.«
»Wirklich? Was?«
Sie wollte nicht über Tom reden. Sie sprach einfach nicht gern über Tom. Sie bewahrte ihn lieber nah an ihrem Herzen. »Leigh hatte Sie eben kennen gelernt, sie war im Begriff, sich zu verlieben.« Es klang anklagend, was er jedoch nicht zu bemerken schien.
Er nickte. »Ich habe mich auch sehr in sie verliebt«, sagte er. »Hören Sie, ich habe Durst. Der lange Weg. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
»Haben Sie irgendetwas Kalorienarmes?«
Sie folgte ihm in die Edelstahlküche zu dem Kühlschrank mit den riesigen Türen. Er hielt einige Getränkedosen hoch, und sie suchte
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