Wo die Toten ruhen - Psychothriller
gut finde.«
»Du auch. Oder hast du geschlafen?«
»Nein.«
»Ich trainiere vor der Arbeit. Hatten wir gestern Abend eine Verabredung, oder war das reines Wunschdenken meinerseits?«
»Hatten wir? Ja, hatten wir!« Schuldbewusst fiel ihr ein, dass
sie sich obendrein auch noch mit Ray verabredet hatte. »Aber stattdessen hat meine Schwester ein Baby bekommen.« Sie erzählte ihm von dem Abend.
»Ah, gut. Dann liegt es nicht an meiner Filmauswahl. Oder dass ich ein hässliches Hemd getragen habe oder dass an meinem Hals Haare wachsen.«
Sie hörte einen zaghaften Tonfall, der ihr ausnehmend gut gefiel.
»Ich mag dich, Zak, obwohl ich das nächste Mal, wenn wir uns treffen, deinen Hals wohl mal näher in Augenschein nehmen muss.«
»Wie geht es deinen Knöcheln?«
»Vollkommen wiederhergestellt.«
»Gut. Man braucht sie zum Gehen, habe ich mir sagen lassen. Du bist übrigens auf Inlineskatern ausgesprochen schön«, sagte er. »Elegant.«
»Für jemanden, der genauso oft fällt wie rollt.«
»Du bist einfach … schön.«
Oh, dann flirtete er also jetzt in der Morgendämmerung. Sie hörte ein Hupen. »Du bist auf dem Weg zur Arbeit?«
»Ja, und jemand hat mich gerade geschnitten.«
»Dann wirst du es ihm zeigen?«
»Nein.« Er unterbrach sich. »Ich habe die Spur gewechselt und ihm den Vortritt gelassen.«
»Dann ist seine Geländelimousine größer als deine?«, spekulierte sie.
»Richtig.«
»Ich wette, Raoul wird dir einige zusätzliche Arbeiten aufhalsen, weil er ein Neugeborenes hat und du nicht.«
Er lachte. »Ohne Frage. Also, wie wär’s mit heute Abend?«
»Ich weiß nicht.«
»Du weißt nicht? Ich könnte zu dir kommen.«
»Eher nicht. Tut mir leid.« Sie würde sich zuerst wegen Ray etwas Neues einfallen lassen müssen.
»Dann hast du gelogen. Dir ist die Behaarung an meinem Hals doch aufgefallen, oder? Sie ist dir aufgefallen, und jetzt hast du dein Urteil über mich gefällt. Du denkst: Der Mann braucht einen besseren Friseur, der ist nicht gut genug für mich.«
»Es tut mir leid, dass ich heute Abend nicht mit dir essen kann, Zak. Aber ich schwöre bei Gott, ich freue mich darauf. Bald, ja?«
Das Telefon wurde warm in ihrer Hand, als sie Jacki im Krankenhaus anrief.
»Krankenhäuser sind was für Kranke, für Sterbende«, sagte Jacki. »Ich will nach Hause.«
»Sie kümmern sich ausgezeichnet um dich, Jacki«, sagte Kat, der es angst und bange wurde bei dem Gedanken, Jacki käme mit einem Baby nach Hause und könnte zwei Wochen lang nicht aufstehen.
»Raoul sagt, er kann nur eine Woche Urlaub nehmen. Danach hat er einen riesigen, wichtigen, weltbewegenden Auftrag, um den er sich kümmern muss.«
»Meine Arbeit«, sagte Raoul zaghaft im Hintergrund.
»Er möchte jemanden engagieren!«, schnaubte Jacki verächtlich.
»Klingt vernünftig«, sagte Kat.
»Ich will keinen Fremden in meinem Haus.«
Kat ließ das auf sich wirken, aß noch einen Löffel Rigatoni und hatte den starken Wunsch, einfach aufzulegen. »Was meinst du damit?«
»Ich habe Alternativen. Familie. Du könntest zum Beispiel bei mir einziehen.«
Klar konnte sie das. Ihr Leben war schließlich nicht der Rede
wert, sie konnte sich ruhig von ihrer energischen, lebhaften Familie völlig aufzehren lassen. Vom buddhistischen Standpunkt her war es genau das Richtige. Eine Woche frei nehmen, weil Raoul nicht konnte. Gut sein, eine Heilige sogar. Die Buddhisten hatten viele Heilige, doch sie hatten auch ein Höllenreich.
»Wenn es in der Hölle friert, Jacki.«
»Warum nicht?«
»Gib mir Raoul.«
Das Telefon stieß irgendwo gegen.
»Ja?«
»Ich helfe dir, jemanden zu finden«, sagte Kat.
»Oh, das wäre toll. Ich bin die ganze nächste Woche zu Hause, da könnten wir ein paar Vorstellungsgespräche vereinbaren.«
»Jacki wird total sauer auf mich sein, also verabschiede ich mich jetzt. Sag ihr, ich hätte einen Anruf auf der anderen Leitung.«
»Du hast keine andere Leitung.«
»Sei kreativ, Daddy. Das wirst du jetzt öfter sein müssen. Tschüss.«
Sie rief Ray Jackson an.
Er ging nicht ans Telefon. Er ging nie ans Telefon, und in seinem Büro bekam sie immer so eine sture Kuh namens Denise an die Strippe, die ihm keine Nachricht übermittelte.
Sie zog sich eilig an und fuhr in ihr eigenes Büro.
Weil sie fast die ganze Nacht im Krankenhaus verbracht hatte, kämpfte sie sich an diesem Vormittag ziemlich müde durch einen Gerichtstermin, bei dem die streitenden Parteien sich so verhielten, dass
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