Wo die Toten ruhen - Psychothriller
fort. »Aber deine innere Distanz hat sie verletzt, Kumpel.«
»Halt den Mund, Martin, oder ich muss dich umbringen.«
»Wir waren sehr lange Zeit Freunde.«
»Martin, mit dir zu arbeiten und so zu tun, als wäre nichts, ist im Augenblick schon schwer genug. Lass uns zu dem Projekt kommen und Leigh da raushalten.«
»Ich bin gestern von einem Polizeibeamten vernommen worden. Ich habe nichts gesagt, was dir schaden könnte. Ich meine, ich weiß nichts über Leigh, ehrlich, oder eure persönlichen Angelegenheiten. Er hat mich angeschaut und mir Fragen gestellt, die mir überhaupt nicht gefallen haben. Als wäre ich irgendwie verantwortlich für Leighs Verschwinden, weil wir … du weißt schon, uns getrennt haben.«
Die Worte hingen schwer in der Luft, während Ray bei sich dachte: Das kann nicht sein. Er musterte seinen Partner, der dasaß in einer gebügelten gelbbraunen Hose, die seine Frau für ihn aus der Reinigung geholt hatte, und mit einer Dreihundert-Dollar-Sonnenbrille, auf der Martin bestand, denn sie war seiner Meinung nach die billigste Methode, den Kunden den Eindruck zu vermitteln, er sei einer, der etwas bewegte - indem er seine Augen verbarg.
»Vielleicht wissen sie etwas, was ich wissen sollte«, sagte Ray zu Martin.
Der breitete die Hände aus und sagte mit zittriger Stimme: »Ich schwöre dir, ich habe sie seit letztem Mittwoch nicht gesehen.«
»Und wenn du von heute an bis ans Ende der Welt schwörst, wird dir das niemand glauben, Martin.«
»Ja, nun, falls jemand irgendetwas getan hat, dann warst du ja wohl derjenige, welcher.«
»Vielleicht war es ja auch deine Frau.«
»Meine Frau?«
»Ich habe gehört«, log er gemein, »dass jemand sie wegen Suzanne angerufen hat. Vielleicht hat sie auch einen Anruf wegen Leigh bekommen.«
Martin war wie vor den Kopf gestoßen. »Nein. Das würde niemand wagen.«
»Aber wie du sagst«, sagte Ray, »wir haben ein Haus zu entwerfen. Sollten wir nicht zurück zum Thema kommen?«
Martins Miene verfinsterte sich. Er ging zu der Klippe hinüber, und seine Hose flatterte im Wind, als er eine Zigarre herausnahm und versuchte, sie anzuzünden. Ray folgte ihm mit den Plänen und beschwerte sie auf einem flachen Fels mit einem Stein, damit sie nicht wegflogen. »Ich muss zurück«, sagte er. »Sag, was du zu sagen hast.«
»Hast du mit Antoniou über die Ideen gesprochen, die du heute Morgen skizziert und mir dann vor die Füße geworfen hast?«
»Nein.«
»Hast du wenigstens überlegt, was er will, bevor du stundenlang deinen Spinnereien nachgehst?«
»Ich habe gehört, was ihr beide darüber zu sagen hattet, was er will. Denise und ich haben diese ersten Ideen entwickelt. Bezüglich dessen, was er braucht.«
»Auf den Skizzen ist keine einzige verdammte weiße Säule zu sehen«, sagte Martin. »Ich würde das hier als Mischung aus Tokio-postindustriell und italienisch-futuristisch bezeichnen. Wie kannst du nur davon träumen oder vermuten oder dir in deiner ungeheuren Phantasie einbilden, du könntest diesen Kunden davon überzeugen, so einen verrückten Scheiß zu
bauen? Der Mann ist ein alter konservativer Grieche mit felsenfesten Überzeugungen.«
»Er hat unterzeichnet. Er hat gezahlt. Er wird es lieben. Ich bin der Architekt.«
Martins Finger trommelten auf den Fels, auf dem Rays Pläne lagen. Eine Brise wehte sie hoch. Einen kurzen Augenblick hielten seine Hände sie fest, dann überließen sie sie dem Wind. Sie flatterten auf den Abgrund zu. Ray lief hinter ihnen her.
»Er hat unterzeichnet, weil ich ihn beschwatzt habe, Ray, und wir geben dem Mann das, was er will. Den Mist, den du hier gezeichnet hast, kannst du vergessen, denn diese Pläne sind für mich die Pläne für das Traumhaus von jemand anderem. O ja, sie geben eine grandiose Doppelseite in irgendeiner Zeitschrift ab. Ich weiß, das bedeutet dir etwas. Leider hat dein Entwurf keinerlei Ähnlichkeit mit einem Zuhause für eine Familie.«
Ray warf ein paar Steine auf seine Pläne, um sie zu beschweren, dann schob er die Hände in die Taschen und sah sie sich genauer an. Die neuen Skizzen unterschieden sich kaum von den alten. Vor seinem geistigen Auge stand, gänzlich realisiert, ein sagenhaftes dreistöckiges Gebäude, das weit über Herzog & de Meuron und Fong & Chan hinausging. Es hatte einen Turm, der in ein Stahlnetz gehüllt war, es wirkte fast sexy, ein einzigartiges Haus, das seinem Kunden und dessen Familie wie auf den Leib geschnitten war. »Ich erwarte nicht, dass du
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