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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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aber du bist ein guter Junge. Lass dich nicht von ihm missbrauchen. Hilf mir, Joey. Sei mein Freund.«
    Der Schulhof hatte sich bereits geleert. Jeden Moment konnte Bongo Drums kommen, um das Tor zu schließen.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte ich. »Ich muss jetzt zurück in meine Klasse.«
    Er blickte wehmütig durch die Gitterstäbe. »Warum hast du dich gestern von ihm auf einen so unguten Weg führen lassen?«
    »Was wissen Sie über gestern Nacht?«
    »Was weißt du über ihn? Typisch für ihn, sich einen schüchternen Jungen zu suchen, der von anderen gehänselt worden ist. Deshalb hat dich doch deine Mutter an einer neuen Schule angemeldet, ist es nicht so?«
    »Lassen Sie meine Mutter da raus!«
    »Ich weiß, wo du wohnst, Joey. Ich weiß mehr über dich, als du dir vorstellen kannst.«
    »Sind Sie mit Shane verwandt?«
    Er lachte bitter auf. »Sagen wir mal, uns verbindet das böse Blut in unseren Adern.«
    »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.« Mir wurde immer unwohler zumute. Ich hasste solche Gespräche, in denen Leute von dir erwarten, dass du weißt, worüber sie reden, und dir das Gefühl geben, dass du ein Trottel bist, wenn du nachfragst.
    »Ich will, dass du dich das fragst, dass du dich fragst, was er eigentlich von dir will. Warum glaubt er, dass er dich zum Freund haben kann, wo doch ich der einzige Freund bin, den er hat?« Der alte Mann schielte zu Bongo Drums, der am Schultor erschienen war. »Sag ihm, dass einer von uns beiden nicht mehr da sein sollte. Sag ihm, dass ich es zurückwill.«

D REIUNDZWANZIGSTES K APITEL
    S hane
    A UGUST 2007
    T homas führte Shane und Geraldine die Treppe hinunter, an den zertrümmerten Milchflaschen in der Eingangshalle vorbei. Nur von der Kerze, die er vor sich hielt, und von dem immer schwächer werdenden Strahl von Shanes Taschenlampe kam etwas Licht. Als sie die Küche erreicht hatten, öffnete Thomas die schmale Tür, die ihnen schon beim ersten Mal aufgefallen war, die Tür, hinter der sie einen langsam in die Tiefe führenden Gang entdeckt hatten. Er blickte sich nach ihnen um, ob sie ihm auch folgten. Geraldine wünschte sich, sie hätte ihrer Oma erzählt, wohin sie ging; sie wünschte sich, sie hätte ihrer Oma alles erzählt. Sie versuchte, ihr eine SMS zu schicken, hatte aber hier unten keinen Empfang. Widerwillig folgte sie Shane, weil sie nicht allein zurückbleiben wollte, dafür hatte sie zu viel Angst. Shane erregte der Gedanke, dass dieses Haus ein Geheimnis barg, aber gleichzeitig fürchtete er sich. Seine Furcht rührte von dem merkwürdigen Gefühl her, dass er sich irgendwie selbst in diese Situation hineinmanövriert hatte; dass er schon einmal in diesem Keller gewesen war, sich daran aber nicht mehr deutlich erinnern konnte.
    Am Ende des abschüssigen Gangs senkte Thomas den Kopf, um einen leeren Kellerraum zu betreten. Er wartete, bis Shaneund Geraldine bei ihm waren. Der schwache Strahl von Shanes Taschenlampe gab endgültig den Geist auf, deshalb kam jetzt nur noch von Thomas’ Kerze ein wenig Licht und von den Displays der Handys von Shane und Geraldine. Durch das gewölbte Mauerwerk wirkte der Kellerraum noch kleiner. Wenn sie hier eingesperrt wären, würde sie niemals jemand finden. Thomas setzte die Kerze auf dem gefliesten Boden ab.
    »Ihr glaubt, hier gibt es nichts zu sehen, was?«
    »Ich würde lieber wieder zurück in die Küche«, sagte Geraldine mit ängstlichem Trotz.
    Thomas kniete sich auf den Boden. »Als Kind bin ich Hunderte von Malen in diesen Keller gekommen, und nie hätte ich geglaubt, dass hier ein Geheimnis versteckt ist.« Er blickte hoch. »Versprecht mir, dass ihr nie mehr hierher zurückkommt. Für mich ist es Zeit zu sterben, höchste Zeit. Ich habe alle anderen viele Jahre überlebt. Aber bevor ich sterbe, möchte ich etwas noch ein allerletztes Mal sehen. Fahrt vorsichtig mit den Fingern am Rand dieser großen Fliese entlang. Es gibt dort einen winzigen Spalt, unter den ihr fassen könnt.«
    Geraldine kniete sich neben ihn. Zuerst konnte sie nichts ertasten, aber dann spürte sie den winzigen Spalt. Kurz darauf hatten sie alle drei unter den schweren Stein gefasst und ihn ein Stück hochgehievt und eine Kante auf die Fliese daneben geschoben. Sie keuchten vor Anstrengung.
    »Jetzt können wir ihn noch weiter zur Seite schieben«, sagte Thomas. Als sie die schwere Steinfliese noch ein Stück bewegten und sich im Boden ein Loch auftat, fühlte sich die Luft im Keller noch kälter an.

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