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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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könnten Klassenkameraden sein, Joey.«
    »Sie brauchen dringend ärztliche Hilfe«, sagte ich. »Sie haben einen schizophrenen Schub.«
    »Dieser Wechselbalg muss mir die Kehle durchschneiden. Dann wäre ich wenigstens seinen alten Körper los und meine Seele könnte dann in meinem eigenen Körper mit seiner Seeleverschmelzen. Das hat er ja vor zwei Jahren auch versucht – in der Nacht damals, als ich mich an dem Türrahmen festklammerte; in der Nacht, als er ausrutschte und sich den Kopf anschlug. Wenn alles erfolgreich verlaufen wäre, würden unsere Seelen sich weiter in einem beständigen Kampf befinden, aber in ein und demselben Körper, nicht in zwei Körper aufgespalten wie jetzt. Aber nun bin ich sein Schatten und er ist meiner. Stell dir mal vor, Joey, wie das ist, wenn du einen anderen in deinem eigenen Körper herumlaufen siehst. Ich kenne jeden seiner Gedanken. Er ist es leid, jedes seiner Leben immer in solcher Einsamkeit verbringen zu müssen. Er will Freunde, Gefährten, menschliche Nähe, aber ich bin das einzige Lebewesen auf Erden, das ihn versteht. Die Stimmen in seinem Kopf flüstern ihm zu, dass er mich töten und ihr Geheimnis weiter wahren soll. Aber ihm graut es davor, wieder so allein zu sein.«
    Er vergrub den Kopf in den Händen. Ich schlich vorsichtig zur Tür weiter.
    »Frag dich mal selbst, Joey, wenn er ein ganz normaler Mensch ist, warum hat Geraldine in seiner Gegenwart dann solche Angst? Weil sie das Böse spüren kann.« Er blickte auf. »Bleib und hör mir zu, und wenn es nur deshalb ist, weil wir dasselbe Mädchen lieben.«
    »Lassen Sie Geraldine in Ruhe!«
    »Sie befindet sich in Todesgefahr. Er benutzt dich als Lockvogel, um sie ihm zuzuführen. Mein wahrer Name ist Shane O’Driscoll. Du musst mir das glauben und du musst Geraldine auch davon überzeugen. Sag ihr, dass in diesem alten und verbrauchten Körper der Junge steckt, den sie geliebt hat. Unverändert. Ich schreib jetzt hier für sie ein Wort auf, ich sprech es nicht laut aus, weil wir beide geschworen haben, dass wir es niemals jemand ausplaudern würden. Zeig es ihr!«
    Er kritzelte das Wort Concord auf einen Zettel und reichte ihn mir.
    »Was bedeutet das, Concord?«
    »Frag sie.« Er wartete ab, bis ich den Zettel in die Hosentasche gesteckt hatte. »Hast du jemals Fotos von einem Tornado gesehen? Er fängt klein an, nur ein leichter Luftzug. Dann saugt er alles auf, was ihm in den Weg kommt, bis er eine Wolkensäule ist, die sich nur noch um sich selbst dreht. In seinem Kopf ist ein solcher Tornado aus Stimmen. Ein Sturm verlorener Seelen tost in ihm. Ich kann ihren Widerhall in meinem eigenen Kopf hören. Ein stummer Buckliger dachte, er könne diese Seelen retten, indem er sie mit der Seele eines Jungen vermischte, der zum Priester bestimmt war. Aber Thomas konnte ihnen keine Absolution verschaffen. Er versuchte, sich selbst von allen Menschen zurückzuziehen und hier unbemerkt zu sterben, aber die verlorenen Seelen wussten, dass er in Versuchung geführt werden konnte. Doch diesmal haben sie ihr Opfer schlecht gewählt. Sag dem Untoten, dass ich mein Leben zurückhaben will. Sag ihm, dass er meiner Vorhölle ein Ende bereiten soll, und zwar hier in diesem Haus, in dem beim Wechsel von Körper zu Körper etwas schiefgelaufen ist. Nur einer von uns beiden hätte danach weiterleben sollen. Sag ihm, dass ich auf ihn warte, damit er mir die Kehle aufschlitzt, wie er das früher bei den Schweinen gemacht hat.«

S ECHSUNDDREIßIGSTES K APITEL
    T HOMAS
    D EZEMBER 2006
    F rüher einmal waren vor den Fenstern in diesem Irrenhaus in New Jersey Stäbe angebracht. Thomas ist sich da ganz sicher, obwohl es natürlich auch sein kann, dass er die Irrenhäuser allmählich durcheinanderbringt. Er war schon in so vielen Anstalten und Obdachlosenheimen, dass sie für ihn inzwischen alle gleich aussehen. Das Fenster hat ein Sicherheitsglas, aber mit einem Hammer könnte man es bestimmt einschlagen und zurück in die Welt flüchten.
    Nicht, dass Thomas an Flucht denkt. Um seine Gesundheit steht es schlecht und draußen ist es unter null Grad. Siebzig Jahre lang streunt er nun schon durch Amerika, lässt sich durch das weite Land treiben wie ein Stück Holz im Ozean. Manchmal fragen die Ärzte ihn, in welchen Städten er denn gelebt und welche Berufe er denn ausgeübt hat. In Schlachthäusern habe er gearbeitet, erzählt er ihnen dann. Besonders gut sei er beim Schlachten von Schweinen gewesen. Die Schweine vertrauten ihm.

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