Wo die Wahrheit ruht
sehr?”
Er zuckte die Achseln. “Die Art, wie Sie gestern Abend mit dem Einbrecher umgesprungen sind, hat Sie zu einer lokalen Berühmtheit gemacht. Das macht mich natürlich neugierig.”
“Hmm, das kaufe ich Ihnen nicht ab. Sie stellen sehr präzise Fragen.” Sie lehnte sich über den Tisch. “Verdächtigen Sie etwa
mich
des Mordes an Steven, Agent Baxter?”
“Nicht wirklich.”
Er nahm tatsächlich kein Blatt vor den Mund. “Was soll das denn bedeuten?”
“Das bedeutet, dass ich die Verdächtigenliste der Reihe nach abarbeite und so lange Leute streiche, bis nur noch ein einziger übrig bleibt. Seien Sie nicht beleidigt. Versetzen Sie sich in meine Lage. Sie tauchen hier auf – als Exverlobte des Toten und Erbin einer florierenden Kunstgalerie. Sie sollten wissen, dass Menschen schon für weniger gemordet haben.”
“Und Sie sollten wissen, dass FBI-Agenten nicht unfehlbar sind.”
“Da gebe ich Ihnen recht. Wie alle anderen machen auch wir Fehler. Ich möchte mich für meine entschuldigen.”
Sie war weit weniger beleidigt, als er zu vermuten schien. In Wahrheit hatte ihr das Wortgefecht richtig Spaß gemacht. “Heißt das, Sie haben mich jetzt von ihrer Verdächtigenliste gestrichen?”
“Aber nur, solange Sie mir keinen Grund liefern, Sie wieder draufzusetzen.”
“In diesem Fall nehme ich Ihre Entschuldigung gerne an.”
“Danke. Darf ich das wiedergutmachen?”
“Das ist nicht nötig.”
“Bitte, ich bestehe darauf. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Lunch morgen Mittag?”
Auch wenn er ein bisschen zu charmant, zu glatt, zu schlagfertig daherkam – seine Wirkung auf sie verfehlte er nicht. Nur zu gerne nahm sie seine Einladung an.
12. KAPITEL
“V ielen Dank, Mrs. Vernon”, sagte Grace und begleitete ihre erste Kundin zur Tür. “Viel Freude mit dem Bild.”
“Oh, die werde ich garantiert haben.” Die weißhaarige Dame warf noch einen letzten Blick auf den Arroyo, den Grace, mit dem neuen Preisschild über einhunderttausend Dollar versehen, auf einer Staffelei ganz vorn in der Galerie platziert hatte. “Und wie gesagt, mein Mann wird sicher kommen, um sich diesen 'Markttag' anzusehen. Eduardo Arroyo ist einer seiner Lieblingskünstler, wissen Sie.”
“Ich freue mich schon darauf, Mr. Vernon kennenzulernen. Brauchen Sie Hilfe damit?” Grace deutete auf das Paket, das sich die Frau unter den Arm geklemmt hatte. “Es regnet ziemlich stark.”
“Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben es bestens verpackt.”
Grace wartete, bis ihre Kundin das Bild im Kofferraum ihres Kombis verstaut hatte, und schloss die Tür. Ihre erste Kundin. Sie war stolz auf sich selbst – nicht allein, weil die Galerie einige Tausend Dollar umgesetzt, sondern auch, weil der Arroyo bereits das ihm gebührende Interesse geweckt hatte.
Als sie Mrs. Vernons Scheck in der Geldkassette verstaute, klingelte das Telefon. Sie ging zum Schreibtisch hinüber und hob den Hörer ab. “Hatfield Gallery.”
Die leise, beinahe schüchterne Stimme des Anrufers, der sich jetzt meldete, kannte sie zwar nicht, den Namen, den er dann nannte, kannte Grace dafür aber umso besser.
“Hier ist Bernie Buckman”, sagte der Mann. “Denise Baxter hat mir erzählt, dass ich Sie gestern Abend erschreckt habe. Dafür wollte ich mich gerne entschuldigen – das war nicht meine Absicht!”
“Das ist sehr nett von Ihnen, Bernie. Wie schade, dass Sie gestern Abend nicht hereingekommen sind. Ich hätte Sie gerne kennengelernt, denn ich habe hier etwas gefunden, das Ihnen gehört.”
“Tatsächlich?” Er klang überrascht.
“Eine ganze Sammlung erstklassiger Angelköder, die Steven für Sie gekauft hat.”
Er blieb einige Augenblicke still und fragte dann: “Sind Sie sicher?”
“Absolut sicher. Denise Baxter hat mir erzählt, dass Steven sie Ihnen zum Geburtstag schenken wollte. Ich kann sie Ihnen gerne vorbeibringen, wenn Sie möchten. Sie arbeiten auf dem Friedhof, nicht wahr?”
“Sie brauchen nicht den weiten Weg auf sich zu nehmen. Ich kann bei der Galerie vorbeikommen.”
“Wie wäre es mit heute? Um sechs schließe ich. Schaffen Sie das?”
“Abends putze ich noch Büros und habe erst um neun Feierabend.”
“Kein Problem. Dann nehme ich die Angelköder mit nach Hause, und Sie kommen einfach beim Cottage vorbei. Wissen Sie, wo es ist?”
“Ja, das weiß ich.”
“Dann erwarte ich Sie heute Abend um kurz nach neun Uhr.”
“Ich komme gerne, vielen Dank, Miss McKenzie.”
“Keine
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